«Viele Firmen sind auf ältere Mitarbeitende und Pensionierte angewiesen»

Das Potenzial der älteren Fachkräfte wird zu wenig genutzt, stellte Alexis Weil nach der Pensionierung seines Vaters fest. Deshalb gründete er seniors@work mit dem Ziel, Arbeitnehmende ab 50 und Unternehmen zusammenzubringen.

Ralph und Alexis Weil
Alexis Weil gründete seniors@work, nachdem sein Vater Ralph (l) pensioniert worden war.
Maja Sommerhalder

Alexis, du warst frisch aus dem Studium, als du 2019 seniors@work gründetest. Warum beschäftigt man sich als junger Mensch mit diesem Thema?
Alexis Weil: Mein Vater war vor fünf Jahren frisch pensioniert. Dabei war er körperlich und geistig noch topfit und wollte weiterarbeiten. Wir fragten uns, warum man Personen, die mitten im Leben stehen, in den Ruhestand schickt. Schliesslich haben viele Unternehmen Schwierigkeiten, die passenden Fachkräfte zu finden.

Kann man nicht einfach nach der Pensionierung das Leben geniessen und neue Hobbys finden?
(Lacht) Nichts gegen Hobbys, aber mein Vater ist nicht der Typ, der den ganzen Tag jassen oder golfen will. Er möchte wie viele Menschen im AHV-Alter etwas Sinnstiftendes machen und seine Erfahrungen weitergeben. Wer von der Gesellschaft gebraucht wird, baut auch weniger schnell ab. Man reduziert also auch die Gesundheitskosten, wenn man das Potenzial der älteren Generation nutzt.

Seniors@work verbindet Fachkräfte ab 50 sowie im Pensionsalter mit Unternehmen. Wie funktioniert das genau?
Auf unserer Website seniors@work legen Stellensuchende ein Profil mit ihrer Berufserfahrung und ihren Kenntnissen an. Sie können sich damit entweder auf unsere ausgeschriebenen Jobs direkt bewerben oder die Unternehmen melden sich bei den Fachkräften. Die Arbeitgeber können neben den klassischen Jobausschreibungen ihre Anforderungen an das Stellenprofil auf seniors@work hochladen. Unsere KI-Suchassistenz schickt ihnen dann die passenden Kandidatenvorschläge.

Das Interesse an eurem Start-up war von Anfang an gross. Mittlerweile haben sich auf eurer Plattform rund 55'000 Kandidaten und 5500 Unternehmen registriert.
Noch bevor wir vor fünf Jahren richtig an den Start gingen, stellten wir in der Sendung «Die Höhle des Löwen» unsere Geschäftsidee vor. Wir gewannen dort ein Startkapital und ein weiterer Investor unterstützte uns. Viele Medien berichteten darauf über unser Projekt und 2020 begannen wir mit einer Wachstumskampagne. Dann kam aber Corona und unsere Jobsuchende gehörten zur Risikogruppe. Während zwei Jahren stagnierte unser Business deshalb, doch seit 2022 wachsen wir wieder kräftig. Demnächst möchten wir auch in Österreich und Deutschland aktiv sein.

Jobsuchende ab 50 gelten immer noch als schwer vermittelbar. Hat sich da in den letzten fünf Jahren etwas getan?
Sicher hat sich der Fachkräftemangel seit unserer Gründung nochmals zugespitzt, da viele Babyboomer in Rente gehen. Deshalb sind viele Unternehmen auch auf ältere oder bereits pensionierte Mitarbeitende angewiesen und stellen diese vermehrt ein. Doch leider halten sich gewisse Vorurteile hartnäckig – etwa dass ältere Arbeitnehmende nicht mehr innovativ, lernfähig, langsam oder teuer sind.

Dieser Altersdiskriminierung möchten wir mit seniors@work gegensteuern. Der Jahrgang sollte auf dem Arbeitsmarkt keine Rolle spielen. Entscheidend ist doch nicht das Alter, sondern wie lange jemand noch arbeiten möchte und kann. Und: Ältere und jüngere Menschen sollten nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten und voneinander lernen.

Wie genau kann dieses Lernen aussehen?
Genauso wie jüngere Arbeitnehmende sollten auch ältere Menschen nie aufhören, sich mit den Entwicklungen in ihrem Jobumfeld zu beschäftigen. Deshalb arbeiten wir seit kurzem mit einem Anbieter von Weiterbildungen zusammen, um unserer Community das nötige Rüstzeug für ihre weitere Berufslaufbahn zu geben. Da geht es etwa um die technischen Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz oder Social Media.

Und was zeichnet erfahrene Berufsleute aus?
Diese punkten durch ihre Sozialkompetenz sowie ihre Erfahrung in der Führung und im Krisenmanagement. Dies ist in der heutigen Arbeitswelt genauso wichtig, wie wenn man etwa in Sachen Digitalisierung auf dem neusten Stand ist.

Welche Berufe sind auf seniors@work besonders nachgefragt?
Gross ist die Nachfrage etwa nach Treuhändern, Architekten, Immobilienmaklern, Pflegefachleuten oder Mitarbeitenden im Sales und Backoffice-Bereich. Ich bin überzeugt, dass mit dem demografischen Wandel ein höheres Alter bei vielen Jobs von Vorteil ist.

Warum?
Schon heute ist ein Grossteil der Bevölkerung 60 oder älter. Weil dieser Anteil in Zukunft noch steigen wird, wird es immer mehr Produkte und Dienstleistungen für diese Zielgruppe geben. Genau in diesen Bereichen haben ältere Arbeitnehmende gute Chancen, einen Job zu finden.

Häufig werden Menschen mit den Jahren unglücklich in ihren Jobs. Kann man sich eigentlich nach 50 beruflich noch komplett neu orientieren?
Warum nicht? Es ist doch schade, wenn man bis zur Pensionierung in einem langweiligen Job ausharrt – auch für den Arbeitgeber. Ich finde deshalb, dass die Gesellschaft offener sein sollte, was Umbrüche im Alter angeht.

Viele Berufe benötigen aber eine lange Ausbildung.
Sicher absolvieren nur wenige 50-Jährige nochmals ein komplettes Studium. Eine Weiterentwicklung in verwandten Berufsfeldern ist realistischer. Mein Vater arbeitete etwa früher als Finanzchef in einem Unternehmen, seit seiner offiziellen Pensionierung ist er als Immobilienmakler tätig und unterstützt als Coach Studenten dabei, ihren beruflichen Weg zu finden.