«Revolution in den Zusatzversicherungen bzw. bei den Gesundheitsprüfungen»: Mit diesem nicht sehr bescheidenen Slogan hat die Sanitas vor Kurzem öffentlich die Möglichkeit der Einschlüsse von Vorbehalten in die bestehenden Versicherungsprodukte angekündigt.
Versicherte mit gesundheitlichen Vorbelastungen sollen zwischen einem Ausschluss von Teilleistungen (Vorbehalt) und einer vollen Deckung gegen einen Prämienzusatz wählen können.
Klingt gut oder gibt es Vorbehalte?
Fakt ist: In der Industrie brodelt es.
Helvetic Care ist dem nachgegangen und zeigt auf, was dies für die Kundinnen und Kunden der Zusatzversicherungen in Zukunft bedeuten könnte.
Doch zuerst ein paar Hintergrundinfos:
Das Anbringen von Vorbehalten ist weitverbreitet in der Industrie der Kranken- Zusatzversicherungen. Die Kundin oder der Kunde möchte sich versichern lassen und wird dann für ein gewisses Risiko, das über sogenannte Gesundheitsfragen ermittelt wird, ausgeschlossen.
So etwa bei den Halbprivat- oder Privatversicherungen, aber auch bei kleineren ambulanten Bausteinen: Der Versicherer schreibt dann dem Kunden: «Wir nehmen Sie sehr gerne in das von Ihnen gewünschte Produkt auf. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass dabei aufgrund eines erhöhten Risikos eine oder mehrere Krankheiten (konkrete Krankheitsbilder) von dieser Versicherung ausgenommen bleiben.»
Solche Vorbehalte können sehr vielfältig und vielschichtig sein; zum Beispiel Atemwegserkrankungen, orthopädische Problemstellungen, Krankheiten infolge erhöhter Blutwerte oder Knieprobleme.
Die Kundin oder der Kunde muss dann entscheiden, ob er die Versicherung auch mit dem entsprechenden Vorbehalt (Ausschluss) abschliessen will. Das bedeutet, dass der Versicherer entsprechende Kosten bei Behandlungen, die im Kontext des Vorbehalts entstehen, nicht zurückerstattet. Solche Vorbehalte sorgen bei den Kundinnen und Kunden verständlicherweise für rote Köpfe.
Vorbehalte sind aber letztlich nichts anderes als ein Schutz der bestehenden Versicherten: Sie müssen nicht gemeinsam die Kosten jener tragen, die beim Eintritt bereits ein höheres Risiko darstellen und mutmasslich überdurchschnittlich das gesamte Versicherungskollektiv belasten.
Die Sanitas hegt offensichtlich die Absicht, dass die Versicherten neu solche Vorbehalte gegen eine separate Prämie einschliessen können. Das ist an sich ein sehr lobenswerter und kundenfreundlicher Ansatz. Allerdings gilt es da verschiedene grundsätzliche Aspekte zu berücksichtigen:
Wenn neu nun auch ein Vorbehalt in ein Produkt eingeschlossen werden kann, dann ist sicherzustellen, dass die bestehenden Versicherten damit kein erhöhtes Risiko in der Zukunft tragen. Es muss die Gewähr bestehen, dass sich der Einschluss von Vorbehalten neutral auf den Bestand und die Zukunft auswirkt.
Der Einschluss der Vorbehalte muss deshalb (heute und in Zukunft) kostendeckend erfolgen. Genau dies ist im Konsumenteninteresse zu gewährleisten. Und genau dies ist die Aufgabe der Finanzmarktaufsicht Finma.
Gespannt darf man darauf sein, wie diese Vorbehalte genau in Prämien umgerechnet werden: Was kostet ein Einschluss des Vorbehaltes «Knie», was jener von Atemwegserkrankungen? Auf welchen statistischen Grundlagen wurden diese Prämien ermittelt?
Wurden beim «Knie» sämtliche Kosten von Meniskus, Bändern, künstlichen Kniegelenken etc. zugrunde gelegt? Geht man bei den Atemwegerkrankungen von Kosten der chronifizierten COPD-Patientinnen und -Patienten aus? Auch da dürfte die Finma bei der Genehmigung entscheidend Einfluss nehmen.
Sollten die Vorbehalte in der Vergangenheit nicht einfach willkürlich erfolgt sein, dann dürften diese jene Menschen betreffen, die in der Tat ein höheres Risiko in Bezug auf die mit dem Ausschluss bezeichnete Krankheit haben. Ein Einschluss dürfte aus diesen Gründen tendenziell teuer sein.
Im Weiteren stellt sich die Frage, ob das Angebot des Einschlusses für alle Versicherten in allen Zusatzversicherungsprodukten gelten soll.
Dies wiederum würde versicherungstechnisch bedeuten, dass bei allen Produkten aufgrund von unterschiedlichen Versicherungsdeckungen unterschiedliche Preise pro Vorbehalt hinterlegt und genehmigt werden müssten.
Da der Einschluss von Vorbehalten in die bestehenden Versicherungsdeckungen neue Vertragsbestimmungen als Voraussetzung haben, müssten die bestehenden Versicherten ihr Einverständnis dazu geben; bzw. sie könnten dann einfach im alten Produkt mit den bestehenden Vorbehalten bleiben.
Gespannt darf man auch darauf sein, wie sich diese Vorbehalte in Produkten im Zusammenhang mit enorm steigenden Prämien im Alter auswirken. Behandlungen bei orthopädischen Problemstellungen oder Atemwegserkrankungen dürften im Alter viel stärker in Anspruch genommen werden.
Möchten Sie wissen, wie sich die Prämie Ihrer halbprivaten und privaten Spitalzusatzversicherung entwickelt? Dann erkundigen Sie sich bei Ihrer Versicherung.
Eine Vorlage des Mails erhalten Sie, wenn Sie auf den jeweiligen Link Ihrer Krankenkasse klicken. Ein vorgeschriebenes Mail öffnet sich in Ihrer Mail-Applikation und Sie brauchen nur noch auf «Senden» zu klicken.
Einer der Schwachstellen bei der Einführung eines derartigen Systems dürften die aktuell eher rudimentären Gesundheitsfragen und -prüfungen sein. Die Gesundheitsfragen vor dem Abschluss werden von den Kundinnen und Kunden kritisch beurteilt. Auch im Vertrieb ist deren Akzeptanz ein bereits seit je her kritischer Punkt gewesen.
Wenn man aber in Zukunft viel differenzierter Risiken erfassen und beurteilen möchte (was parallel zum Einschluss von Vorbehalten erfolgen müsste), dann bräuchte dies auch detailliertere Gesundheitsfragen und entsprechende Risikoabwägungen.
Helvetic Care erkennt im neuen Ansatz durchaus revolutionäre Züge. Konkret heisst das: Vollkommen neue technische Grundlagen, viel ausgeprägtere Sicht auf Diagnosen (spezifische Krankheiten) und viel ausgeprägtere Risikoselektion…
Die konkrete Umsetzung dürfte allerdings sehr anspruchsvoll sein. Einfacher wäre es wohl (gewesen?), ein neues Produkt zu lancieren und mit den bestehenden Produkten sowie Versicherten im alten Fahrwasser weiterzufahren.
Von einer Revolution kann allerdings nur dann gesprochen werden, wenn die oben aufgezeigten Aspekte denn auch konsequent und integral umgesetzt werden. Erst deren Umsetzung wird auch zeigen, ob sich damit Mehrwerte für die Kundinnen und Kunden ergeben.
Die Verwendung des Begriffs revolutionär dürfte von der Sanitas bewusst gewählt worden sein. Damit stellt sich die Frage der mit dem Einschluss verbundenen Strategie.
Geht es darum, mehr Prämien zu generieren oder um einen echten Kundenmehrwert?
Oder liegt eine Strategie hin zur konsequenten Neuausrichtung des Zusatzversicherungsgeschäftes in Richtung diagnoseorientierte Versicherungen vor?
Im angelsächsischen Raum haben sich sogenannte Dread-Disease-Versicherungslösungen etabliert. Dies bedeutet, dass die Kunden Versicherungen spezifisch für gewisse Diagnosen abschliessen können: Ich versichere mich gegen einen Herzinfarkt, gegen Krebs etc. privat und ansonsten bin ich allgemein versichert.
Der Ansatz ist quasi umgekehrt zu den Ausschlusslösungen mittels Vorbehalten. Aber solche Lösungen bedingen dieselben technischen Grundlagen.
Bis anhin konnten sich derartige Produkte in Mitteleuropa nicht etablieren. Bringt die Sanitas dies nun in die Schweiz?
Helvetic Care kennt die konkreten Hintergründe und Absichten der Sanitas nicht.
Der oben dargestellten Komplexität des Unterfangens zollt wohl auch der Umstand Rechnung, dass die ursprüngliche öffentliche Ankündigung nun mit einer Publireportage (SonntagsZeitung, vom 20. August, 23) relativiert wurde: Die Umsetzung soll erst im 2024 erfolgen.
Otto Bitterli hat sich ein Berufsleben lang an der Schnittstelle zwischen Privat- und Sozialversicherung bewegt. Er kommt ursprünglich von der Privatversicherungsseite (Winterthur) und hat dann bei der Sanitas als Geschäftsleitungsmitglied, als CEO und 1 Jahr als Verwaltungsratspräsident (VRP) gearbeitet. Aktuell ist er Berater und in mehreren VR und Boards tätig, unter anderem als VRP der Helvetic Care AG.
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Spitalzusatzversicherung