Die Groupe Mutuel hat eine Umfrage zum Thema Gesundheit am Arbeitsplatz durchgeführt, in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsmagazin «Bilan» und der Fachzeitung «Finanz und Wirtschaft». 428 Schweizer Arbeitgeber wurden unter anderem dazu gefragt, wie es um die körperliche und psychische Gesundheit der Mitarbeitenden steht und aus welchen Gründen diese bei der Arbeit fehlen.
Dabei wurde bestätigt, dass Erkrankungen der Psyche und des Bewegungsapparates die höchsten Kosten für Unternehmen verursachen. Was ist zu tun?
Nicolas Caloz, Leiter CorporateCare bei der Krankenkasse Groupe Mutuel, zeigt im Interview Lösungsansätze und Hintergründe zur 2023 durchgeführten Studie auf.
Mehr zur Studie erfahren Sie unter diesem Link.
Herr Caloz, inwiefern ermöglicht uns diese Umfrage, die Realität genauer zu erfassen?
Nicolas Caloz: Fast überall ist zu lesen, dass psychische Erkrankungen stärker zunehmen als andere Erkrankungen. Wir stellten aber nicht das Gleiche fest. Der 2022 veröffentliche Job-Stress-Index deckt sich mit unseren eigenen Beobachtungen. Nach der aktuellen allgemeinen Wahrnehmung gibt es mehr gestresste Menschen. Der Job-Stress-Index zeigt aber, dass der Anteil der Personen, die sich im «gefährdeten» oder «kritischen» Bereich bewegen, in den letzten Jahren in Wirklichkeit nur leicht gestiegen ist.
Weil es sich um ein Thema handelt, bei dem es schwierig ist, die Dinge genau zu qualifizieren?
Ja. Wie weit reicht bei diesem Thema die Verantwortung des Arbeitgebers? Wird über den Druck am Arbeitsplatz gesprochen? Über depressive Erkrankungen? All das ist sehr komplex. Auch wenn wir grundsätzlich der Meinung sind, dass die Unternehmen in diesem Bereich eine Verantwortung tragen, müssen dennoch die genaue Ausgestaltung und das Ausmass dieser Verantwortung klar definiert werden können.
Wenn wir über psychische Gesundheit sprechen, betrifft dies alle Aspekte des Lebens…
Es handelt sich in der Tat um eine vielschichtige Realität. Wir stellen unsererseits fest, dass private Probleme oft eine wichtige Rolle spielen. Werden hingegen die Arbeitsbedingungen als negativ empfunden, wird die Arbeit zum Auslöser der Krise. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass sich die Person nicht mehr imstande fühlt, durchzuhalten oder weiterzumachen.
Welche wirklich sinnvollen und wirksamen Massnahmen können getroffen werden?
Ein Unternehmen muss sich bewusst sein, dass es nicht die volle Kontrolle über die Mitarbeitenden haben kann. Wenn wir heute von beeinflussbaren und nicht beeinflussbaren Absenzenquoten sprechen, bedeutet das, dass der Handlungsspielraum des Unternehmens begrenzt ist. Es kann zwar etwas tun, aber nicht alle Probleme derjenigen Mitarbeitenden lösen, die sich in einer schwierigen persönlichen Situation befinden. Wenn ein Unternehmen einen eher fürsorglichen und gesunden Führungsstil hat, trägt dies zum Wohlbefinden der Mitarbeitenden bei, ebenso wie Flexibilität und alles, was zu den Grundbedürfnissen der Mitarbeitenden gehört. Deshalb sind zwei Dinge entscheidend: das Zuhören und die Nähe.
Gleichzeitig betont eine kürzlich erschienene Studie* den grossen Einfluss, den Führungspersonen auf die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden haben. Mitunter ist dieser Einfluss sogar noch grösser als derjenige der Ehepartnerin oder des Ehepartners …
Ja, diese Studie ist diesbezüglich sehr interessant. Der Einfluss der Führungspersonen ist in der Tat sehr gross. Dennoch geht es in erster Linie darum, den Arbeitgeber nicht zu stigmatisieren. Das Thema psychische Gesundheit gab es schon immer, es ist nicht erst 2020 plötzlich aufgetaucht. Der Unterschied ist, dass es heute ein echtes Bewusstsein für das mittlerweile zu einem gesellschaftlichen Problem gewordene Thema gibt. Es ist alles eine Frage des Gleichgewichts, in der Realität, aber auch in der Wahrnehmung.
Es geht in erster Linie darum, die realen Probleme anzugehen …
Die Unternehmen stehen heute zunehmend unter dem Druck, vorbildliche Arbeitgeber zu sein. Es ist also wichtig, einen Unterschied zu machen zwischen dem, was das Unternehmen aus Marketinggründen vorhat, und dem, was es tatsächlich für die Mitarbeitenden unternimmt. Um die wirklichen Probleme anzugehen, muss die Unternehmensleitung Mut und Engagement zeigen und über das reine Marketing hinausgehen.
Das würde also auch bedeuten, die heute festgestellten, eher alarmierenden Erkenntnisse ein wenig zu relativieren?
Das grosse Thema bleiben die Kurzzeitabsenzen und die Art, wie sie gehandhabt werden sollen. Es ist aber bekannt, dass die verfügbaren Ressourcen und Mittel ein Hindernis für die Umsetzung sein können. Auch die Umfrage bestätigt: Ohne entsprechende Ressourcen ist es schwierig, die Massnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit voranzubringen.
Welche Rolle können und sollen die Unternehmen also spielen?
Sie müssen die Mitarbeitenden unterstützen, sich auf die Betreuung fokussieren. Gelebte Nähe ist der Schlüssel zum Erfolg. Ich bin davon überzeugt, dass mit einem Fokus auf Betreuung die besten Ergebnisse erzielt werden können.
Home-Office – der bequeme Weg?
Die Fernarbeit hat Einzug in die Gesellschaft gehalten. Doch ist sie DIE Lösung für die psychische Gesundheit? Unter den Umfrageergebnissen ist die «Erleichterung der Fernarbeit» die zweithäufigste Massnahme der Arbeitgeber, um das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden zu fördern. In der gleichen Umfrage bezeichneten dieselben Unternehmen die Fernarbeit aber auch als die am wenigsten wirksame Massnahme zur Bewältigung dieser Herausforderungen.
Das Interview wurde aus dem Magazin pro der Groupe Mutuel übernommen.
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