Wie Krisen im Alter entstehen – und wie man sie löst

Krisen kennen wir alle. Der Psychiater Christoph Alber hat dann mit Menschen zu tun, wenn sie alleine nicht mehr aus einer Krise finden. Die gute Nachricht: Die emotionale Reife und mehrfach bewältigte schwierige Situationen helfen älteren Menschen, Krisen effizient zu bewältigen.

Wie Krisen im Alter entstehen – und wie man sie löst
Jessica Francis

«Ich habe eine Krise, ich bin in einer Krise.» Was meinen wir eigentlich, wenn wir das sagen? Und welche Krisen treten besonders im Alter auf? Als Psychiater kennt sich der Basler Arzt Christoph Alber aus mit Menschen in Krisen. «Psychiatrisch sprechen wir dann von einer Krise, wenn ein Mensch mehr Anpassung leisten müsste, als dass er dies vermag», sagt der 50-Jährige. Wenn zu wenig Hände da wären, um zu entlasten, sei das seelische Gleichgewicht aus der Balance. Die Symptome können Antriebslosigkeit oder innere Unruhe sein, ungewohntes Verhalten oder körperliche Beschwerden, die schwer zu erklären sind, aber auch Bauchschmerzen, Schwindel oder eine gestörte Verdauung.

Weil gewisse Themen im Alter vermehrt vorkommen, gibt es innerhalb der Psychiatrie den Schwerpunkt «Alterspsychiatrie und -psychotherapie». Christoph Alber ist darauf spezialisiert, 85 Prozent seiner Patientinnen und Patienten sind über 65 Jahre alt. Wer noch selbstständig in die Praxis in einem Wohnviertel am Basler Rheinufer kommen kann, den empfängt Alber bei sich in einem Raum mit Wänden aus Holz und Blick in den Innenhof. Manchmal fährt Alber auch mit dem Velo zu den Patientinnen und Patienten und leistet Hausbesuche; daheim, im Altersheim oder auch im Spital.

Dr. med. Christoph Alber ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH. Sein Spezialgebiet ist Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie.

Dr. med. Christoph Alber ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH. Sein Spezialgebiet ist Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie.

Die häufigsten 3 Auslöser für Krisen im Alter

«Die allermeisten Krisen sehen wir Ärzte gar nicht», so Alber. Diese Krisen in Beziehungen, in Familien, im Sportverein oder im Chor, würden ohne ärztliche Hilfe ausgeglichen und gelöst. Kommt jemand in seine Praxis, dann findet Alber gemeinsam mit der Patientin Lösungen, wo und wie die Last reduziert werden kann. Man entscheidet gemeinsam, ob und falls ja, welche Anpassungsleistung der Patient selbst machen kann, und wo allenfalls Unterstützung organisiert wird.

Meist sei es nicht ein Geschehnis allein, das zu einer Krise führt, sondern die Kumulation von verschiedenen Faktoren. Trotzdem könne man sagen, dass diese drei Entwicklungen im Alter überdurchschnittlich häufig zu einer Krise führen:

Wenn der Partner oder die Partnerin stirbt:

Der Verlust der Partnerin und des Partners kann dazu führen, dass das seelische Gleichgewicht aus den Fugen gerät. Zum Trauerprozess hinzu kommt manchmal auch eine intensive Zeit der Pflege oder eine Reihe von Erlebnissen in Institutionen vor dem Versterben des Partners, die bei den Angehörigen nicht selten zu Erschöpfung und Überforderung geführt haben und Fragen aufwerfen können, die die Zurückbleibenden selber nur schwer verarbeiten können.

Wechsel des Wohnorts:

Im Alter kann es vorkommen, dass ein Wechsel des Wohnorts nötig ist. Beispielsweise dann, wenn eine Treppe zu einem Hindernis wird. Das Sprichwort «einen alten Baum verpflanzt man nicht», sollte man nicht unterschätzen, sagt Christoph Alber. Ein Wechsel der Nachbarschaft und der gewohnten Umgebung sei nach Jahrzehnten und/oder besonders enger Bindung an die Nachbarschaft, das Quartier oder «die Scholle» besonders herausfordernd und könne zu einer Krise führen.

Mehr zum Thema Wohnen im Alter

Verluste:

Beispielsweise von Fähigkeiten bei sich selber oder beim Partner, wie der Abbau von körperlichen und geistigen Fähigkeiten, aber auch Verluste im Sinne von Status (die Berufsbezeichnung ist dann Rentner oder «in Pension») oder ökonomischer Natur (oft tieferes Einkommen im Rentenalter). Dies kann schwer zu ertragen sein und kann dazu führen, dass die emotionale Balance nicht mehr gegeben ist.

Mehr zum Thema Gesundheit im Alter

Manchmal reichen wenige Sitzungen aus

Auch wenn das Alter gewisse Herausforderungen mit sich bringt, schätzt der Psychiater Christoph Alber die Arbeit mit älteren Patienten. «Die Umstände sind komplex, jeder Lebensweg ist individuell und die Patientinnen und Patienten haben eine menschliche Reife und einen gefüllten Rucksack.» Manchmal könnten auch nur wenige Sitzungen ausreichen, um ein Thema «rundzumachen» und der Patient oder die Patientin könne die Anpassungsleistung wieder selbstständig und ohne ärztliche Hilfe vornehmen.

Ein Therapieziel könne auch sein, dass ein Verhaltensmuster verändert werden soll; der Patient oder die Patientin erlebt, dass er selbstwirksam einen Modus aktivieren kann, den er sich schon früher immer gewünscht hat oder der ihm bisher gefehlt und somit zu einem Leidensdruck geführt hat. «Im Alter geht es nicht darum, diesen Modus zu wechseln und nur noch den quasi hilfreichen Modus zu erreichen», sagt Alber. Mehr geht es darum zu erleben, dass man auch anders kann, selbstwirksam diesen hilfreichen Modus mal gegenüber einer nahen Person einsetzen kann.

«Ältere Menschen erkennen recht gut, wo es für sie weitergehen kann, respektive kennen Sackgassen in Bezug auf Entwicklung schon lange und gut und müssen solche «Leerläufe» weniger machen. Sie gehen somit in (therapeutischen) Prozessen sehr effizient vor», lobt der Vater von vier Kindern die Arbeit seiner Patientinnen und Patienten. Psychotherapie sei längst nicht mehr eine Aufarbeitung des ganzen Lebens, sondern meist eine fokussierte Arbeit an einzelnen Fragestellungen.

Gesellschaft und Bewegung zur Krisen-Prävention

Erfreulicherweise hätten wir in der Schweiz einen hohen Grad an Selbstbestimmung im Alter und viele Entscheide seien älteren Menschen selbst überlassen. «Diese Freiheiten zu füllen und die Verantwortung dafür zu tragen, kann aber auch eine Herausforderung sein, die man nicht unterschätzen darf», sagt Christoph Alber. Es könne für ältere Menschen auch eine Entlastung sein, eine Verantwortung gezielt abzugeben und diese Last nicht mehr länger selber zu tragen. Dieser Prozess könne dann zu einem Moment der gesunden Trauer führen, gefolgt meist von Integration des Verlustes, was mittel- und langfristig oft zu mehr Zufriedenheit führe. Wann der Zeitpunkt für solche Veränderungen sei, das würden ältere Menschen meist gut spüren.

Bleiben Sie auf möglichst vielen Bühnen aktiv

Prävention für die Psyche könne jeder Mensch mit einem aktiven Lebensstil betreiben. «Gesellschaft halten ist wichtig, ich rate, auf möglichst vielen sozialen Bühnen aktiv zu bleiben», sagt Christoph Alber. Natürlich dürften dies weniger sein als noch mit 40 oder 50 Jahren, doch dabeibleiben, wo dies möglich sei, sei wünschenswert. Eine gute Prävention von Krisen sei auch die körperliche Bewegung und die aufmerksame Selbstbeobachtung: «Verändert sich das eigene Charakterprofil oder der eigene Interaktionsstil, sollte man das besprechen und vielleicht auch die Hausärztin oder den Hausarzt darüber informieren.»

«Ja, im Alter verändern sich Dinge», hält Christoph Alber fest. Um das seelische Gleichgewicht zu halten, gilt es unabänderliche Veränderungen anzunehmen und diese nicht zu verdrängen. Rückgängig machen sei eben oft nicht möglich, manchmal aber bringe das Neue nach einer neutralen Bewertung auch Vorteile, die man auf den ersten Blick nicht sehen würde.