Trainoffice. Auf die Idee bin ich vor drei Jahren gekommen. Natürlich war es nichts Neues, dass Menschen im Zug arbeiten. Seit Leute pendeln, arbeiten sie unterwegs, tippen Zahlen und Wörter in ihre Laptops und telefonieren, was meist stört. Von Peter Bichsel wissen wir, dass er im Zug schreibt. Der Schriftsteller erfindet auf seinen Fahrten Geschichten.
Ich kam auf Trainoffice, weil mich das Büro langweilte. Immer die gleichen Wände und Fenster, der gleiche Blick auf gegenüberliegende Büros, die gleichen Menschen (die ich zwar mag), die gleichen Gespräche. Zum Arbeiten kam ich nicht wirklich, denn ich kann mich im Grossraumbüro schlecht konzentrieren.
Reisen, arbeiten und wandern
Natürlich schätze ich es unterdessen, dass wir uns nach der Pandemie wieder treffen dürfen, und tauche an meinem fixen Arbeitsplatz ab und zu auf. Aber das Büro wird in vielen Firmen nicht mehr dasselbe sein. Wir werden das Office aufsuchen, wenn wir uns austauschen wollen. Für konzentriertes Arbeiten bleiben wir künftig wohl zu Hause.
Ich begann also, SBB-Tickets zu kaufen. 1. Klasse, den Luxus gönn(te) ich mir. Früher zahlte ich in meiner freiberuflichen Tätigkeit für einen Arbeitsplatz. Heute gebe ich das Geld für Tageskarten aus. Ich entscheide mich meist für Reisen, auf denen ich nur einmal umsteigen muss, damit ich beim Arbeiten wenig unterbrochen werde.
Ich fahre ins Engadin, nach Arosa, Zermatt, Basel oder Interlaken. Ich nehme die Züge nach neun Uhr, da hat es je nach Strecke kaum Leute, sodass ich konzentriert arbeiten kann. Drei Stunden Hinreise, vier Stunden wandern, drei Stunden Rückfahrt. Am Abend komme ich meist zufrieden nach Hause, denn ich war erstaunlich produktiv und habe mich erst noch bewegt. Diese kleinen Fluchten fühlen sich an wie Ferien und nicht wie Arbeit.
Jetzt kostenlos anmeldenDie Fahrten beflügeln mich
Trainoffice erlebe ich als ausserordentlich produktiv, inspirierend und motivierend. Wie schön, wenn Berge und Seen an mir vorbeiziehen, ich durch Täler fahre und auf Hügelzüge blicke. Die Fahrten lösen in mir etwas Gutes aus und sind beflügelnd. In der Bewegung liegt ein Zauber, wir kennen das vom Gehen, sie bringt das Denken in Gang, ich komme auf Ideen.
Eigentlich paradox: Die vorbeiziehenden Landschaften lenken ab und erlauben doch vertieftes Arbeiten. Ich sehe einen Film und bin im Film. Das funktioniert erstaunlich gut. Nicht jede Aufgabe eignet sich gleichermassen fürs Trainoffice, die meisten schon. Ausser telefonieren, das verbiete ich mir.
Zum Autor
Rolf Murbach ist Redaktor, Dozent und Schreibcoach. Als Journalist beschäftigt er sich mit Arbeitswelt und Bildung. Lesen Sie auch seine Jobwelt-Kolumne: Viele ältere Arbeitnehmer haben es sich zu bequem eingerichtet.
Und ich habe Zeit zum Nachdenken
Das Schönste an meinen Reisen sind die Begegnungen. Auf jeder Fahrt treffe ich einen Menschen. Das belebt. In Schuol stapfte ich durch das tiefverschneite Dorf. Bei einer Kreuzung hielt ich ein. Ein Mann fragte mich, wohin ich wolle. Ich sagte, ich weiss es nicht. Darauf er: Komm mit mir. So begleitete ich den Mann oder er mich bis zur nächsten Weggabelung. Er erzählte von seinem Job als Schreiner, von den Schwierigkeiten der heimischen Jungen, im Engadin ein eigenes Haus zu kaufen, von der touristischen Entwicklung des Tals. Dann ging er weiter.
Auf einer kleinen Wanderung oberhalb von Zermatt begegnete ich einer Japanerin, die durch Europa reiste. Ich habe auf dem gemeinsamen Abstieg mehr über Japan erfahren als durch viele Lektüren. Im Verzascatal traf ich eine Aussteigerin, die mir von ihrem bewegten Leben berichtete. Und in Luzern kehre ich gerne in einem netten Café am See ein. Es gibt dort köstliche Zwetschgenwähe. Die Gespräche mit der Kellnerin wiederholen sich, ich möchte diesen kurzen Austausch nicht missen.
Trainoffice ist also auch eine Form von Networking. Einfach anders, ohne Fingerfood und ohne Businesstalk. Das Grossraumbüro verliert mit jeder Fahrt an Bedeutung.
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