Vor den Ferien mit meiner Mutter auf Teneriffa im September 2013 fielen mir die ersten Anzeichen ihrer Demenz gar nicht auf. Aber durch das intensive Zusammensein im Urlaub fing ich an, mehr in mich hineinzuhorchen und spürte, dass mit meiner Mutter etwas nicht in Ordnung war.
Als wir zurück nach Zürich kamen, vergingen einige Wochen mit ganz normalem Alltag. Sie schien so fit wie immer zu sein und besuchte mich an den Wochenenden zum gemeinsamen Mittagessen in meiner Wohnung in Oberengstringen.
Meine Mutter meisterte den gewohnten Spazierweg von Unterengstringen zu mir gut, obwohl sie sich im Hotel auf Teneriffa kaum orientieren konnte. Trotzdem sorgte ich mich und beobachtete alltägliche Verhaltensweisen immer genauer und hinterfragte jede ungeplante Handlung.
Ich verdrängte meine Zweifel
Zu meinem Bedauern muss ich heute eingestehen, dass meine Beobachtungen und Gedanken dann doch in meinem Berufsalltag als Fachjournalist und Kommunikationsberater untergingen. Sie waren auch zu schmerzhaft und ich verdrängte meine Zweifel. Was einerseits als Selbstschutz gut für die eigene Psyche sein kann, führt in der Regel nicht zur Lösung des Problems.
Daher verging rund ein dreiviertel Jahr, in dem ich mir einredete, dass es vielleicht nur zeitweise «Aussetzer» je nach Gemütszustand oder Biorhythmus meiner Mutter seien. Aber mit der Zeit liessen sich die Anzeichen nicht mehr leugnen. Mir wurde bewusst, dass ich sensibler auf die Veränderungen ihres Verhaltens eingehen musste.
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Betreuungsperson findenDie bevorstehende Untersuchung war eine Belastung für uns
Dabei fiel mir öfters beim Kurzzeitgedächtnis auf, wie sie Namen, Telefonnummern oder Termine vergass. Handelte es sich also doch um eine «kognitive Leistungsbeeinträchtigung»? Ich fragte meinen ehemaligen Hausarzt Dr. med. M. F. in Stuttgart, den ich während meines Studiums dort kennengelernt und mit dem ich in meiner Funktion als Ernährungsberater bereits erfolgreich seine Diabetes- und Krebspatienten beraten hatte, im Juni 2014 um Rat.
Er bot mir einen auf mehrere Tage verteilten Diagnose-Termin Anfang Juli an. Wir fuhren mit gemischten Gefühlen am Wochenende vor den Terminen nach Stuttgart. Einerseits sollten es ein paar schöne Ferientage werden, andererseits lasteten die bevorstehenden Untersuchungen und ihr Ausgang auf uns.
Über den Autor und die weiteren Folgen
Markus Frutig (Jg. 1967) ist im Hauptberuf Kommunikationsexperte, Fachjournalist und Chefredaktor. Dazu berät er seine Kunden seit über 22 Jahren erfolgreich u.a. als ausgebildeter und zertifizierter Ernährungs-, Energiemedizin- und Orthomolekularberater. Durch die Demenzerkrankung seiner Mutter besitzt er dazu eine langjährige Praxiserfahrung in der Alters- und Demenzpflege. Auf helveticcare.ch schreibt er regelmässig darüber.
Meine Mutter hat Demenz: die weiteren Folgen
Teil 1: Die Anzeichen fielen mir zuerst gar nicht richtig auf
Teil 3: Hilft eine alternative Behandlung?
Teil 4: Meine Gedanken fuhren Karussell
Teil 5: War die Verschnaufpause in Ägypten das Richtige?
Teil 6: In den Ferien fielen mir die Veränderungen erst richtig auf
Teil 7: Wie konnte ich sie dazu bringen, das Essen nicht zu vergessen?
Teil 8: Weil sie das Trinken vergass, musste sie als Notfall ins Spital
Teil 9: Diese Hilfsmittel erleichtern den Alltag
Teil 10: Unsere Lehre nach bangen Stunden im Spital
Eine Uhr zu zeichnen, fiel meiner Mutter schwer
Als wir am Montagmorgen in der Praxis waren, wurden durch Blutentnahme alle wichtigen Werte ermittelt sowie ihren Herz-Kreislauf-Zustand. Danach warteten wir nervös. Am Mittwoch erfuhren wir jedoch, dass alle Werte in der Norm liegen – lediglich der Blutdruck lag etwas am unteren Limit.
Danach führte der Arzt verschiedene neuropsychologische Tests, wie den bekannten «Uhrentest», durch. Hierbei muss der Patient innert kurzer Zeit freihändig ein kreisrundes Zifferblatt mit den zwölf Uhrzeiten auf ein leeres Blatt Papier zeichnen. Hierbei fiel uns auf, dass meine Mutter statt eines schönen Kreises, doch eher einen eiförmigen, nicht geschlossenen Kreis zeichnete und die Uhrzeiten-Striche auch nicht korrekt einteilte und diese teils zögerlich setzte. Sie schien offensichtlich Mühe damit zu haben. Inzwischen gibt es differenzierte Testverfahren zur Diagnose, aber dieser klassische Test zeigte neben den anderen Auffälligkeiten, dass es sich um mehr als nur kurzzeitige Gedächtnislücken handelte.
Waren Medikamente eine Lösung?
Der Arzt klärte uns darüber auf, dass es sich bei Demenz – bis hin zur häufigsten Form Alzheimer – um vielfältige Signalstörungen im Gehirn handle. Diese können leider vielfältige Ursachen haben, die äusserst schwer einzugrenzen sind. Wir berieten zusammen die theoretischen Möglichkeiten und er empfahl ein Antidementivum mit dem Wirkstoff Donepezilhydrochlorid. Das ist ein sogenannter Acetylcholinesterase-Hemmer, der nach aktuellen Forschungen zwar «die Entwicklung einer Demenz verlangsamen und die Symptome verbessern, aber leider keinesfalls aufhalten» kann.
Also war uns jetzt klar, dass es sich um eine Demenz handelte und welche konkrete, medizinische Therapie eine Verlangsamung der Krankheit ermöglichen konnte. Zwar hatten wir jetzt eine Diagnose, aber es türmten sich weitere und neue Fragen auf. Das verschriebene Medikament zeige nur Wirkung, wenn man es regelmässig nehme und nicht mehr absetze. Sonst drohe sogar eine Verschlechterung des Zustandes, meinte der Arzt.
Wir fuhren mit einem mulmigen Gefühl heim
Besonders verunsicherte mich die Information, dass es während der Einnahme des Mittels «häufig zu Appetitlosigkeit, aggressivem Verhalten, Erregungszuständen, Schwindel, Schlaflosigkeit, Erbrechen, Verdauungsstörungen, Hautausschlägen, Muskelkrämpfen, Inkontinenz und Müdigkeit» käme. Da meine Mutter früher einmal Leberstörungen hatte, stellte ich mir die Frage, ob die Nebenwirkungen nicht mehr Beschwerden auslösen könnten als die aktuelle Entwicklung der Demenz selbst.
Dazu kam, dass sich Wechselwirkungen auch mit vielen pflanzlichen Wirkstoffen, wie Ginseng ergeben konnten. Und meine Mutter nahm bereits regelmässig ein Ginseng-Präparat zur Unterstützung des Gedächtnisses.
Ich war also weiterhin verunsichert. Vor uns tat sich ein neuer Abgrund auf. Waren die vom Arzt empfohlenen Tabletten wirklich der Rettungsanker? Sollten wir damit einen Versuch wagen oder würden sie den Zustand womöglich sogar noch verschlechtern? Wir fuhren mit einem mulmigen Gefühl nach Hause.
Wie es weiterging, erfahren Sie im dritten Teil von «meine Mutter hat Demenz». Lesen Sie auch den ersten Teil.