Kürzlich hat mir (58) mein Chef (40) gesagt, wie wichtig ich für das Unternehmen sei. Das hat mir gut getan. Als er mir dann aber im selben Gespräch eröffnete, dass sich junge Kolleginnen und Kollegen in einem Projekt um die Zukunft meiner Arbeit kümmern werden und ich als Verantwortliche nicht dabei sei, habe ich im ersten Moment die Welt nicht verstanden.
Er meinte: «Weisst du, das sind nun neue Projekt-Methoden, die wir beide nicht mehr verstehen.» Und in der Tat, habe ich den Rest des Gesprächs nicht mehr verstanden: «Agile, openspace, scrumb, UX, CX..» Es wollte nicht mehr aufhören, von den so genannten Kulturveränderungen zu sprechen. Meine inständige Frage, was sich denn mit all dem genau ändere, blieb unbeantwortet.
So und ähnlich tönt es landauf landab. Dabei sind wir Babyboomer, also die zwischen 1946 und 1964 geborenen, eine grosse Gruppe. Man sollte doch meinen, dass die Arbeitgeber ein Interesse an uns haben...
Aus der Frühpensionierung wird nichts
Wie dem auch immer sei: Als ich nach Hause kam, sah ich meinen Mann tief gebeugt und angestrengt über Unterlagen brüten. Er rechnete gerade unser gemeinsames Pensionskassengeld aus. Unser ursprüngliches Ziel der gemeinsamen Pension, er mit 63 und ich mit 61, würden wir finanziell nicht stemmen können.
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Wir müssten durchhalten: Er sicher bis 65 und ich dann wohl bis 63. Selbst dann würden wir nicht mehr auf die ursprünglich geplante Rente kommen. Dabei hätte er das Umbauprojekt unseres kleinen Hauses gestrichen und die Prämien für die Kranken-Zusatzversicherung bereits abgezogen. Die müssten wir dann wohl kündigen.
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Otto Bitterli ist Verwaltungsratspräsident (59) bei Helvetic Care und selbstständiger Berater im Gesundheitswesen. Von 2005 bis 2019 war er CEO und Verwaltungsratspräsident der Sanitas Krankenversicherung. Sein Text von der Babyboomerin ist übrigens frei erfunden. Oder?
Um meine Unterstützung war man froh
Anderntags, etwas gar jugendlich gekleidet und mit Sound in den Ohren, kämpfte ich mich ins Büro. Pension mit 63, das wären dann noch gute fünf Jahre. Nach einer sogenannten Townhall-Session, die jungen Projektmenschen und der CEO haben sich gegenseitig gefeiert, stand ein Interview seitens einer Prozessmitarbeiterin an. Sie, eine nette junge Dame, fragte mich über meinen Arbeitsalltag aus. Das war ganz angenehm und sie interessierte sich wirklich für meine Aufgaben. Wie das im Projekt weitergehe, wisse sie auch nicht genau.
Zwei Monate später wurde dann ein Projekt implementiert und alles umgestellt. Um meine Unterstützung bei den Kinderkrankheiten, sprich manuellen Prozessen, war man froh.
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Zwei Jahre später waren die Kinderkrankheiten immer noch vorhanden. Mein Chef erzählte überall und anhand des Projektes, wie erfolgreich die Digitalisierung gestaltet werden könne. Um meine Mitarbeit war man weiterhin dankbar. Ein Jahr zuvor hatte ich meine Führungsaufgabe abgeben müssen, da ich ja mittlerweile nur noch administrative Aufgaben, sprich Kinderkrankheiten, erledigen würde.
Das war für mich okay, aber mit einer kleinen, wie sie sagten, Salärreduktion verbunden. Mein Mann wird zwei Jahre vor mir in Pension gehen. Und gerade eben hat mir mein Chef gesagt, wie wichtig ich für das Unternehmen sei. So richtig verstanden habe ich das nicht, aber es hat mir gleichwohl gut getan.
PS: Was mit Kulturveränderungen genau gemeint ist, habe ich bis heute nicht verstanden. Mir kommt es so vor, dass Diversity vor den Babyboomern Halt macht. Das wäre ja dann Diskrimination einer ganzen Gruppe – sowohl der Männer wie der Frauen!