Alle Scheinwerfer waren auf Chantal Britt gerichtet, als sie im Berner Kursaal am 14. März den Viktor Award entgegennahm. Diesen erhalten Menschen, die im Gesundheitswesen Aussergewöhnliches leisten – die 55-jährige Zürcherin wurde als «herausragendste Persönlichkeit» ausgezeichnet.
Dabei hatte Chantal Britt mit dem Gesundheitssystem bis vor vier Jahren so gut wie gar nichts zu tun. Als Journalistin und später als Kommunikationsfachfrau machte die Mutter von drei Kindern Karriere. In ihrer Freizeit trieb sie viel Sport, zweimal pro Jahr rannte sie einen Marathon. Krank war sie nie: «Und wenn ich mal ein Wehwehchen hatte, dann kurierte ich es rasch mit Bewegung.»
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«Das System kann mit der Krankheit nicht umgehen»
Dies änderte sich drastisch, als sie sich im März 2020 mit Corona infizierte. Nach einem milden Krankheitsverlauf entwickelte sie einige Wochen später schwere Symptome: darunter Kurzatmigkeit, Herzrasen, Belastungsintoleranz – später kamen kognitive Einschränkungen und Muskelschwäche dazu. Es dauerte rund eineinhalb Jahre, bis sie die Diagnose Long Covid bekam. Immer wieder hiess es, ihre Beschwerden hätten psychosomatische Ursachen.
«Leider haben viele andere Betroffene eine ähnliche Ärzteodyssee hinter sich.» Schliesslich ist Long Covid eine Ausschlussdiagnose und lässt sich nicht mit einem Bluttest objektiv belegen. «Nicht verwunderlich, kann das Gesundheitssystem auch nicht so recht damit umgehen», erzählt Britt. So gebe es weder Behandlungen noch seien Lösungen in der Versorgung in Sicht.
Long Covid soll endlich als Krankheit anerkannt werden
Es ist Ende März 2024, als wir sie zum Videointerview treffen. Mittlerweile habe sie zwar gelernt, mit ihrer Krankheit umzugehen, doch die Symptome hätten sich nicht verbessert. Dabei gilt ihre Form von Long Covid als «mild». Im Vergleich zu anderen Betroffenen kann sie reduziert arbeiten. Sie ist in einem 60-Prozent-Pensum an der Berner Fachhochschule als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig.
«Viel mehr liegt aber nicht drin. Ich habe nur 50 Prozent der Leistungsfähigkeit von vorher.» Ihren geliebten Sport etwa könne sie nicht mehr betreiben: «Körperliche Belastungen verschlimmern meinen Zustand.» Hinzu kommen Gedächtnisprobleme: «Es fällt mir manchmal schwer, einfache Texte zu verstehen oder ich scheitere an Alltagsaufgaben wie Autofahren.»
Trotz dieser Einschränkungen begann sich Chantal Britt seit September 2020 für andere Erkrankte einzusetzen. Als Präsidentin der Patientenorganisation Long Covid Schweiz hat sie viele Ziele. Darunter: Long Covid und dessen schwerste Form myalgische Enzephalomyelitis (ME) sollen endlich als Krankheitsbilder anerkannt werden. Denn aus diesem Grund erhalten die meisten Betroffenen von den Sozialversicherungen kein Geld: «Sie gelten nicht als krank, obwohl sie teilweise abhängig von Pflege und bettlägerig sind.»
Long Covid: unsichtbar, aber häufig
Auch brauche es endlich Behandlungsmöglichkeiten und mehr Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen: «So fehlen Kompetenzen für angepasste Sprechstunden und Reha-Programme.» Zudem gibt es in der Schweiz nur wenige Ärzte, die Long-Covid-Patienten mit Medikamenten behandeln: «Dabei können diese die Symptome lindern – so nehme ich etwa Betablocker gegen meine Herzprobleme.»
Long Covid sei keineswegs selten und betreffe die ganze Gesellschaft: «In der Schweiz sind rund 300'000 Personen betroffen.» Diesen Menschen widmet sie ihren Viktor Award: «Die meisten von ihnen leiden in ihren vier Wänden still vor sich hin. Sie verschwinden aus der Öffentlichkeit, ohne einen Platz in der Gesundheitsversorgung zu haben.» Durch den Award hofft sie noch mehr Aufmerksamkeit für diese und andere unsichtbare Krankheiten: «Dafür stelle ich mich gerne ins Rampenlicht.»
Anlass zur Hoffnung geben auch die Fortschritte in der Forschung, obwohl diese gemäss Britt dringend noch mehr vorangetrieben werden sollte. Sie ist sich aber sicher, dass in den nächsten Jahren eine wirksame Therapie entwickelt wird, mit der auch andere postinfektiöse Krankheiten behandelt werden können: «Schliesslich möchte ich irgendwann wieder einen Marathon laufen.»