Die Finanzierung nach DRG (diagnosebezogene Fallgruppen) wurde 2009 im Krankenversicherungsgesetz (KVG) verankert und 2012 umgesetzt. Es gilt zu verstehen, was vor über zehn Jahren passiert ist. Denn nur so können die richtigen Lehren für die Zukunft gezogen werden.
Rückblick: Mit den diagnosebezogenen Fallpauschalen wollte man den Versicherten eine schweizweite Spitalwahlfreiheit in der Grundversicherung ermöglichen und gleichzeitig die Effizienz sowie die Qualität der Spitäler fördern. Man ging davon aus, dass sich diese aufgrund der Entschädigung nach Fallpreisen spezialisieren, ihr Angebot konzentrieren und sich fokussieren werden.
Ziel war es, wegzukommen vom viel zitierten «jedem Täli sein umfassendes Spitäli». Mit der schweizweiten Spitalwahlfreiheit würden die Spitäler gezwungen, ihre Angebote zu spezialisieren – zum Beispiel auf Geburten, urologische Eingriffe oder orthopädische Behandlungen. Auch ging man davon aus, dass damit die Qualität der Eingriffe (aufgrund der Menge/Fallzahlen) und die Effizienz (aufgrund der Konzentration auf standardisierte Prozesse) gesteigert wird.
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Es sind mehrere Geburtsfehler bei der Einführung der DRG festzustellen – nachfolgend die vier wichtigsten Punkte:
Der hauptsächliche Fehler geht auf einen politischen Kompromiss zurück: Weil man Angst vor zu viel Markt hatte, wurde im letzten Moment ein Kompromiss auf Bundesebene geschustert: Einführung der DRG ja, aber gekoppelt mit kantonalen Spitalplanungen. Das hat in über 10 Jahren zu unglaublichen bürokratischen Blüten geführt – hier einige Beispiele:
Dieses System im Detail zu erklären, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass nicht «der Markt» versagt hat, wie gewisse Kreise bereits jetzt lauthals kolportieren. Vielmehr liegt es an der offensichtlichen «Unverträglichkeit» zwischen kantonalen Planungen und Marktmechanismen, die nicht zu den gewünschten Effekten geführt haben.
Bei der Einführung der DRG konnte man nicht einfach einer Leistung (z. B «Blinddarm») einen Preis zuordnen. Man musste die Spitäler vorab in Kategorien einteilen (Uni-, Zentrums-, Regional-, Landspital). Letztlich so, dass jede Spitalgruppe für sich eine prosperierende Zukunft im bestehenden Leistungsangebot ausmachen konnte.
Dies hat zu einer Expertokratie mit «Baserates (Basispreise) pro Spital», «Perzentilbestimmungen» und zu einer Codierungsmaschinerie geführt, welche nur noch Topspezialist:innen verstehen. Genau diese haben jedoch nur die Mikro- und nicht die Makroregulierung in ihren Aufgabenheften.
Spitäler haben je individuell investiert (insbesondere in Bau und medizinische Technologie), um für die Zukunft gerüstet zu sein und die unliebsame Konkurrenz aus der direkten Nachbarschaft auf Distanz zu halten. Man geht davon aus, dass schweizweit aktuell ein Investitionsvolumen von CHF 13 Milliarden gesprochen ist.
Das aktuelle Bild von Spitaldefiziten und kantonalen Unterstützungen dürfte erst der Anfang einer weit dramatischeren Situation in Zukunft darstellen. Interessant und schweizweit notwendig wäre eine Risikoanalyse: Wie viel finanzielle Exposure besteht da künftig für die gesamte Schweiz?
Otto Bitterli hat sich ein Berufsleben lang an der Schnittstelle zwischen Privat- und Sozialversicherung bewegt. Er kommt ursprünglich von der Privatversicherungsseite (Winterthur) und hat dann bei der Sanitas als Geschäftsleitungsmitglied, als CEO und 1 Jahr als Verwaltungsratspräsident (VRP) gearbeitet. Aktuell ist er Berater und in mehreren VR und Boards tätig, unter anderem als VRP der Helvetic Care AG.
Bereits mussten mehrere Kantone die Spitäler massiv unterstützen. Zu nennen ist der Kanton Aargau, der mit Baden und Aarau zwei Topspitäler in unmittelbarer Nähe und einen Neubau von mehr als CHF 500 Mio. in Aarau finanzieren muss. Weiter mussten die Kantone Bern, St. Gallen und neuerdings auch Zürich ihren Spitälern finanziell unter die Arme greifen.
Interessant ist der Entscheid des Kantons Zürich einerseits das Kinderspital mit dem Argument «systemrelevant» zu unterstützen und anderseits Wetzikon fallen zu lassen. Der Kanton hat bezüglich Wetzikon einen folgerichtigen Entscheid gefällt. Das ist bemerkenswert. Doch sind dieser und weiter folgende Entscheide sachlich auch korrekt?
Und inwieweit spielen Aspekte des Finanzausgleichs bei den jeweiligen Entscheiden eine Rolle? Dies im Sinne von «wir können jeweils sehr wohl Defizite ausgleichen, denn dies zahlen ja letztlich dann eh die anderen…»
Es stellt sich die Frage: Darf ein Kanton nachträglich überhaupt Defizite der Spitäler übernehmen, wenn nach Bundesgesetz eine abschliessende Finanzierung gegeben ist? Diese Frage zu beantworten ist heikel und als Staatsbürger:in ist zu hoffen, dass darüber auch jemand wacht! Ansonsten werden schweizweit auf unterschiedliche Art und Weise einzelne Spitäler «geschützt bzw. geschlossen» und das wäre befremdend und willkürlich.
Man kann davon ausgehen, dass es einige wenige «Schlupflöcher» gemäss Bundesrecht hinsichtlich der Finanzierung über DRG gibt: Schwammig sind insbesondere die Formulierungen zu den «gemeinwirtschaftlichen Leistungen» (z. B. Ausbildung) und zu den «Investitionskosten» (diese insbesondere im Hinblick auf die damalige Unsicherheit in Bezug auf deren Bemessung).
Genau diese Argumentation dürfte für den Kanton Zürich massgebend gewesen sein, wenn dieser sagt, dass er das Kinderspital wegen den baulichen Investitionen (Neubau durch einen Stararchitekten…) unterstützt, hingegen Wetzikon aufgrund von offensichtlichen betrieblichen Mehrkosten (Personalkosten) nicht.
Auch interessant ist, dass sich die Regierungsrätin des Kantons Zürich in einem Interview bereits dahingehend geäussert hat, dass das Unispital aufgrund von baulichen Besonderheiten (Auflagen wie z. B. Denkmalpflege) wohl in Zukunft auch unterstützt werden muss. Das lässt zusammen mit den Abschlüssen des Kantonsspitals Winterthur und jenem des Unispitals im Jahr 2023 mit je einem Defizit von gegen CHF 50 Mio. wenig Positives für die Zukunft erahnen.
Die Kunst dürfte für die einzelnen Spitäler darin liegen, ihre finanziellen Unterstützungsgesuche rechtzeitig zu stellen und juristisch auf die bauliche und nicht auf die betriebliche Situation abzustützen. Wird dies jedoch den aktuellen Sachverhalten im Gesundheitswesen gerecht? Ist dies im Sinne der kantonalen Steuerzahler und der schweizweiten Versorgung?
Eigentlich grotesk – aber politisch wohl bewusst verwendet – wirkt das aus dem Banken- und Versicherungssektor stammende Vokabular «systemrelevant» und «Too big to fail». Wenn man allerdings genau hinsieht, könnte es durchaus Parallelen zum Entscheid des Bundes betreffend Credit Suisse haben: Da mussten nämlich Aktionäre und Gläubiger aufgrund der Notrecht-Entscheide massiv Geld abschreiben.
Dies könnte sich insofern wiederholen, weil sich verschiedene Spitäler am Finanzmarkt Fremdkapital (zum Beispiel über Bonds) beschafft haben. Wie fallen aufgrund von kantonalen Entscheiden die Bewertungen dieser festverzinslichen Wertpapiere aus? Führen diese zu einer zusätzlichen Beschleunigung der Abwärtsspirale für ein einzelnes, nicht unterstützungswürdiges Spital?
Wie weit haben und müssen die Kantone bei ihren Entscheiden derartige Aspekte berücksichtigen?
In jedem Unternehmen würde man umgehend über Investitionsstopps diskutieren, um die Situation wenigstens für die Zukunft in Balance halten zu können. Doch wer im Gesundheitswesen soll über derartige Stopps entscheiden?
Die einzelnen Spitäler, die Gesundheitsdirektionen, die kantonalen Parlamente, die Gesundheitsdirektorenkonferenz, der Bundesrat oder gar das eidgenössische Parlament?
Kurzfristig besteht wohl nur die Möglichkeit, dass Kantone, dort – wo sie konkret unterstützen – derartige Entscheide als Bedingung für die Unterstützung an sich reissen. Die Handlungsfreiheit der einzelnen Spitäler wäre damit eingeschränkt.
Die Kantone könnten im Zusammenhang mit ihrer Planungsfunktion die Investition jener Spitäler einfordern, die bis anhin kein entsprechendes Gesuch gestellt haben. So hätte man zumindest pro Kanton mal die Transparenz hinsichtlich der Investitionen. Man bräuchte aber diesbezüglich wohl eine ausserordentliche Kompetenz (Notrecht?), um dann auch eingreifen zu können. Gleichzeitig muss man sich fragen, ob die Kantone wirklich über die Kompetenzen hinsichtlich einer Investitionssteuerung verfügen. Müssten zudem die einzelnen Kantone überwacht werden?
Die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) ihrerseits müsste eine Harmonisierung und inhaltliche Klärung derartiger Investitionsstopps auf freiwilliger Basis (!) aktuell konsequent vorantreiben.
Der Bund seinerseits müsste nun auf den Plan steigen, um mindestens eine Harmonisierung und Überwachung sicherstellen zu können.
Die Frage sei erlaubt: Ist bei den verschiedenen Akteuren und den politischen Instanzen die Handlungsnotwendigkeit erkannt? Ist man sich dem Ernst der Situation bewusst oder hat man immer noch das Gefühl, es könne jeder für sich mit unterschiedlichen Massstäben weiterarbeiten und den Fokus auf die Diskussionen zu den anstehenden politischen Initiativen und Abstimmungen legen?
Ein Korrektiv muss rasch erfolgen. Die Risiken sind immens.