Hallo Herr Heib, wie geht es Ihnen?
Kai Heib: Gut, nur etwas Heuschnupfen, aber das kommt und geht jedes Jahr (schmunzelt).
Dann wissen Sie dank einer genetischen Untersuchung (Pharmakogenetik) sicher, welche Medikamente Sie nehmen können.
Leider nein, denn in diesem Bereich gibt noch zu wenig belastbare wissenschaftliche Daten. Über die Jahre weiss ich aber, was nützt und was nicht. Generell bin ich mit Medikamenten sehr zurückhaltend.
Das erstaunt, schliesslich beschäftigen Sie sich beruflich mit Arzneimitteln.
Meine Berufserfahrungen aus dem Rettungsdienst sind einer der Gründe, warum ich in der Pharmakogenetik tätig bin. Viele Menschen nehmen zu schnell viele Medikamente und sind sich gar nicht bewusst, welche Nebeneffekte diese generieren können. Das Motto für jedes Leiden seine Pille halte ich für eine gefährliche Entwicklung und eine völlig falsche Herangehensweise. Denn man relativiert mit Medikamenten zwar bestenfalls ein Gesundheitsproblem. Nur ist dies nicht immer der Fall oder es können dadurch gar weitere entstehen.
Zum Beispiel?
Es gibt Menschen, die konsumieren das Schmerzmittel Ibuprofen regelmässig und unreflektiert – etwa immer bei leichten Kopfschmerzen oder Verspannungen. Durch die Einnahme von Ibuprofen steigt aber bei einigen Personen das Risiko einer Magenblutung.
Dr. Kai Heib ist Gründungspartner und CEO der INTLAB AG aus Zürich, deren Expertensystem SONOGEN XP seit knapp 8 Jahren im DACH-Raum zugunsten höherer Medikamenten- und Patientensicherheit eingesetzt wird. Dies von einzelnen Hausärzten bis und mit Universitätskliniken und zunehmend integral eingebunden in digitale Systemlandschaften im Gesundheitswesen. Heib studierte Gesundheitsökonomie und besitzt einen Doktortitel in Gesundheitswissenschaften. Vor seiner Selbständigkeit war er in unterschiedlichen Spitalleitungsfunktionen tätig.
Wie kann da die Pharmakogenetik helfen?
Mittels einer pharmakogenetischen Untersuchung kann man herausfinden, ob man zu dieser Risikogruppe gehört und bei Schmerzen die Dosis anpassen oder auf ein alternatives Mittel zurückgreifen sollte. Dieses Wissen spart viel Leid und letztlich auch Kosten im Gesundheitsbereich.
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Also sollte ich vor jeder Medikamenteneinnahme eine pharmakogenetische Abklärung machen?
Nein, längst nicht alle Medikamente sind in der Pharmakogenetik ausreichend wissenschaftlich erforscht. Zurzeit haben wir 106 Arzneimittel in unser Expertensystem aufgenommen. Diese unterliegen strengen Prüfungen hinsichtlich derer klinischen Relevanz wie auch wissenschaftlichen Evidenzniveaus. Das Spektrum ist breit, fünf Medikamentengruppen gehören aber zu den Favoriten.
Die wären?
Am häufigsten analysieren wir, wie Blutverdünner, Antidepressiva sowie Medikamente gegen Krebs, neurologische Krankheiten und Schmerzen bei den jeweiligen Patienten helfen. Wobei die Nachfrage nach der Wirkungsweise von Antidepressiva aktuell eindeutig diese Liste anführt.
Warum?
Bestimmte Antidepressiva wirken längst nicht bei allen Patienten – nicht selten nur bei etwa 50 Prozent.
Deshalb funktioniert die medikamentöse Behandlung bei psychischen Erkrankungen oft nach dem Prinzip bester Erfahrungen, was aber nicht der Anspruch einer zeitgemässen Medizin sein darf.
Denn dadurch verlieren die Patienten wertvolle Zeit und kommen lange gar nicht in die Stabilisierungsphase, die für eine erfolgreiche Psychotherapie wichtig ist.
Dank einer pharmakogenetischen Abklärung weiss man bestenfalls von Anfang an, welches unseres Partners INTLAB wirklich nützt und welches nicht. Das gibt dem Patienten Sicherheit, sodass sich auch die Therapietreue deutlich verbessert. Das heisst, die die Medikamenteneinnahme erfolgt regelmässiger, was den Erfolg der Behandlung wesentlich unterstützt.
Die Pharmakogenetik (PGx) beschäftigt sich damit, wie die Erbanlagen die Wirkung von Arzneimitteln beeinflussen. Dazu gibt die Patientin oder der Patient bei einem Arzt eine Speichel- oder Blutprobe ab. Anschliessend untersuchen die Spezialisten unseres Partners INTLAB die Erbinformationen. Anhand des genetischen Profils analysieren sie die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln und geben konkrete Therapieempfehlungen an die behandelnden Ärzte und Apotheker.
Macht eine pharmakogenetische Abklärung eigentlich nur Sinn, wenn man bereits eine bestimmte Krankheit hat?
Nein, man kann sich auch präventiv ein pharmakogenetisches Profil erstellen lassen, um im Krankheitsfall von Anfang an von der bestmöglichen Therapie zu profitieren. Dieses Profil ändert sich im Verlauf des Lebens nicht und umfasst alle derzeit wissenschaftlich fundiert auswertbaren Medikamente.
Der Patient erhält nach der Untersuchung einen Pharmakogenetik-Pass im Kreditkarten- oder digitalen Format, den er bei Ärzten und Apothekern vorzeigen kann. Wir begleiten die Patienten auch langfristig und integrieren innert kürzester Zeit neuste Studienergebnisse, sodass diese immer vom aktuellen Stand der Wissenschaft profitieren.
Kann dieses Wissen einen Laien nicht auch überfordern?
Die genauen Auswertungen erhalten nur die behandelnden Ärzte oder Apotheker. So möchten wir verhindern, dass der Patient seine Therapie auf eigene Faust anpasst. Er erhält aber bestimmte Empfehlungen – etwa, dass er vor der Einnahme bestimmter Wirkstoffe, wenn möglich, Fachpersonal anfragt. Besonders hilfreich ist dies bei Notfallsituationen oder Auslandsaufenthalten.
Das klingt alles sehr sinnvoll. Trotzdem mutet es etwas unheimlich an, seine Gene untersuchen zu lassen. Man weiss ja nicht, was mit den ganzen Daten passiert.
Die Bedenken kann ich verstehen und sie sind gerechtfertigt. Zum einen hat die Filmindustrie häufig ein negatives Bild von der Genetik vermittelt. Zum anderen haben in der Realität auch viele Firmen mit genetischen Daten Missbrauch betrieben. Beispielsweise haben sie diese weiterverkauft.
Und bei INTLAB passiert dies nicht?
Nichts ist heikler als der Datenschutz derart persönlich sensibler Informationen. Wir behandeln die Patientendaten absolut vertraulich und befolgen strenge Vorgaben und Richtlinien. Wir beschränken unsere Untersuchungen ausschliesslich auf die Gene, die im Zusammenhang mit der Wirkung von Medikamenten stehen. Wir untersuchen also nicht und können keinerlei Aussage treffen, ob ein Risiko besteht, eine bestimmte Krankheit zu entwickeln. Dies schützt unsere Patienten, aber auch uns selbst.
Ihre Untersuchung kostet 400 bis 450 Franken. Warum wird sie bisher nur von der Zusatzversicherung der Helsana übernommen?
Da staunt man, nicht wahr?! Bei der personalisierten Medizin handelt es sich um ein in der Praxisanwendung relativ junges Gebiet und die Finanzierung muss bei den Versicherungen geregelt werden. Wir rechnen damit, dass sich in den nächsten Jahren noch mehr tut. Auch in der Pharmabranche findet derzeit ein Umdenken statt.
Könnte es in Zukunft Standard sein, dass man bei jedem Leiden automatisch eine pharmakogenetische Abklärung macht?
Nicht bei jedem Leiden, schliesslich ist die Pharmakogenetik nicht der Weisheit letzter und alleiniger Schluss, sondern ein relevantes Mosaikteil in einem fachübergreifenden Zusammenspiel. Aber bei klinisch relevanten und evident untersuchten Wirkstoffen ist eine standardisierte genetische Analyse sinnvoll.
In der Krebsbehandlung klärt man schon seit längerem standardisiert ab, welche genetischen Grundlagen bei der Entstehung von Tumoren eine Rolle spielen und wie sie am besten zu behandeln sind.
Auch gibt es Arzneimittel, die bei einigen Patienten schwere Nebenwirkungen verursachen können – zum Beispiel ein Medikament im Rahmen der Dickdarmkrebstherapie, welches zu Vergiftungserscheinungen führte und bereits viele Todesfälle verursachte. Wenn die Pharmakogenetik nur einen Todesfall verhindern kann, ist bereits viel erreicht.
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