«Wir müssen radikal umdenken, wenn es um das Alter geht. In unserer Gesellschaft verbindet man mit dem Alter nur die bürokratischen Fragen der Altersvorsorge. Dabei versucht die Politik hier vergeblich, sich über das Drehen an den wenigen Stellschrauben zu verständigen, aber eigentlich passiert nichts und schon bald droht die Finanzierungslücke.
Denkt man aber mit weiterem Horizont übers Alter nach, sollte man sich grundsätzlicher mit der Generationenfrage befassen. Leider hinterlässt meine Generation der nächsten eine jämmerliche Erbschaft – von der politischen ganz abgesehen. Denn wir haben am Ende des Kalten Krieges die Chancen einer tragfähigen Versöhnung mit Russland verpasst. Doch auch die folgenden drei Bereiche machen mir Sorgen:
Die Jungen müssen die Folgen der Klimakrise ausbaden, weil wir sie verschlampt haben.
Während der Finanzkrise 2008 haben sich die Staaten massiv verschuldet, um die Banken zu retten. Statt seither diese Schulden abzubauen, hat man sie während der Corona-Pandemie (jetzt vor allem im Rahmen der EU) nochmals weiter erhöht. Das Problem wird einfach der kommenden Generation zugeschoben. Die globalen Schulden haben mit 300 Billionen (Summe aller Staats-, Haushalts-, Unternehmens- und Bankschulden) eine astronomische Höhe erreicht, die im Falle einer Vertrauenskrise die Stabilität der Weltwirtschaft gefährdet.
Damit direkt verbunden ist Folgendes: Diese Staatsverschuldung hätte unter normalen Bedingungen zur Zahlungsunfähigkeit überschuldeter Regierungen (vor allem in Südeuropa) geführt – mit der Gefahr, dass damit grosse europäische Gläubigerbanken bankrott gegangen wären. Um das zu verhindern und um die betroffenen Regierungen zu entlasten, wurden die Banken subventioniert oder verstaatlicht und die Zinsen auf null reduziert. Das bedeutet, dass das Gläubigerrisiko der Banken auf die ganze Gesellschaft übertragen wurde. Eine Zinserhöhung würde nach wie vor die Staatshaushalte überschuldeter Staaten überlasten und künftige Rezessionen lassen sich auch nicht mehr mit Zinssenkungen bekämpfen.
Fest steht: Wir Rentner sind die Betrüger-Generation, und die Jugend wird sich erst langsam bewusst, die Betrogenen zu sein. Bereits jetzt spüren wir die Auswirkungen der Klimakrise, ich bin froh, dass es Bewegungen wie «Fridays for Future» gibt. Klimapolitik ist salonfähig geworden und das ist gut so.
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Zu unseren AngebotenIn anderen Bereichen wie der Verschuldung und der Nullzinspolitik sind die Folgen noch nicht so offensichtlich. Es geht zurzeit ja fast allen gut. Ich weiss nicht, was hier ein Umdenken einleitet, die Inflation vielleicht. Ich bin aber sicher, die nächste Generation verliert unseren heutigen Wohlstand, die Armut wird zunehmen.
Tim Guldimann (Jg. 1950) ist Politikwissenschaftler, Diplomat und SP-Politiker. Er ist in Uitikon und Zürich aufgewachsen und trat 1982 in den diplomatischen Dienst ein. Unter anderem war er in Ägypten, Tschetschenien, Kroatien und Iran stationiert. Bis zu seiner Pensionierung 2015 war er Schweizer Botschafter in Berlin. Dort lebt er immer noch. Von 2015 bis 2018 war der Auslandschweizer für die SP im Nationalrat. Guldimann ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.
Eine Lösung für all diese Probleme habe ich nicht. Da müssen politische Prozesse in Gang kommen. Ich selbst versuche lediglich, mit meinem Verhalten die Umwelt weniger zu belasten. So fahre ich meistens mit dem Zug von Berlin in die Schweiz. Für meine 19- und 20-jährigen Töchter ist Fliegen ein No-Go. Schön, dass ein Umdenken stattfindet. Ich glaube an die Jungen, aber selbst – Hand aufs Herz – halte ich mich auch nicht so richtig an den kategorischen Imperativ.
Das Alter sehe ich als Lebensphase, die gesellschaftlich aufgewertet werden muss. Was ich nicht verstehe ist, dass man mit 65 abrupt aus dem Arbeitsleben ausscheiden muss und die Politik die Altersguillotine nicht antastet. Längerfristig können wir uns die heutige Altersvorsorge so nicht leisten. Deshalb plädiere ich zum einen für ein radikal flexibleres Rentenalter, zum andern werden wir das Renteneintrittsalter auch in Anbetracht der zunehmenden Lebenserwartung erhöhen müssen.
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Wer kann und möchte, sollte länger mit reduzierter Arbeitszeit und dann auch reduziertem Lohn arbeiten können. Das würde auch die Gesundheitskosten reduzieren. Denn viele werden nach ihrer Pensionierung krank, weil sie wie Arbeitslose spüren, nicht mehr gebraucht zu werden, und dazu noch Zeit haben, sich mit ihren Beschwerden zu befassen.
Als ich vor sieben Jahren aus dem diplomatischen Dienst ausschied, kandidierte ich für den Nationalrat, aus Angst, als Rentner nichts mehr Sinnvolles zu tun zu haben. Nach zweieinhalb Jahren trat ich aber zurück, weil ich merkte, dass ich von meinem Wohnsitz Berlin aus nicht in der Schweiz Politik machen kann. Politik kann man nur zusammen mit den Menschen machen, nicht mit zugeschicktem Papier.
Trotzdem bin ich noch sehr aktiv und arbeite in diversen Projekten – als Präsident des Museumsrates des Schweizerischen Nationalmuseums, als Autor meines Podcasts «Debatte zu Dritt», als Berater in der Konfliktvermittlung oder als Übersetzer in der Flüchtlingshilfe. Damit verdiene ich kaum Geld, das brauche ich auch nicht. In der Freiwilligenarbeit sehe ich generell ein grosses Potenzial, das vor allem seitens der Senioren viel stärker ausgenützt werden sollte.
Mit 71 Jahren merke ich aber, dass ich nicht mehr so belastbar bin wie früher. Ich versuche mir deshalb nur so viel Stress wie nötig aufzuhalsen und lebe eindeutig gesundheitsbewusster. So treibe ich fast jeden Tag Sport mit Joggen oder Schwimmen. Alte Muskeln, hat man sie einmal verloren, lassen sich nicht mehr so leicht wieder aufbauen.
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Mein Leben im Alter ist zurzeit selbstbestimmt, mir ist aber bewusst, dass ich finanziell und gesundheitlich sehr privilegiert bin. Die Vorstellung, einmal von Hilfe abhängig zu sein oder gar in einem Pflegeheim zu leben, fällt mir schwer. Lieber würde ich mit meiner Frau einmal in eine Alters-WG ziehen.»
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