Spitalzusatzversicherung: ein finanzieller Albtraum im Alter?
Vorsicht vor vertragslosen Zuständen in Spitälern
Mit solchen und vielen weiteren Schlagzeilen hat helveticcare.ch aufgezeigt, wie Halbprivat- und Privatversicherte im aktuellen System geschröpft werden.
Warum die Politik diese «Missstände» bei der Gestaltung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) bisher nicht berücksichtigt hat, verwundert. Immerhin haben in der Schweiz 1.5 Millionen Menschen eine Spitalzusatzversicherung abgeschlossen.
Zudem: 80 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer sind freiwillig ambulant versichert. An sich eine gewichtige politische Grösse. Ein Versuch, endlich auch deren Interessen gegenüber der Gesundheitspolitik zu artikulieren.
Seit 20 Jahren: Grundversicherungs- statt Gesundheitspolitik
In den letzten 20 Jahren hat sich die Politik leider vor allem mit der Grundversicherung nach KVG beschäftigt. Um eine ganzheitliche Gesundheitspolitik ging es bei all den Debatten um das Krankenversicherungsgesetz kaum.
Als geneigter Beobachter muss man feststellen, dass die Interessen der Zusatzversicherten dabei immer mehr auf der Strecke geblieben sind. Je mehr sie zur Kasse gebeten wurden, umso mehr lag der Fokus auf der reinen Grundversicherung.
Die Politik hat sich vor allem mit Folgendem beschäftigt: Bundessteuern, Kantonssteuern, Kopfprämien, Risikoausgleichsmechanismen, Entschädigungen (DRG, Tardoc, Tarmed, Pauschalen), die Rolle von Bund und Kantone, ambulante Operationslisten, Listen- und Vertragsspitäler, Planung, Sockelbeiträge oder Prämienverbilligung…
Alles Themen, welche die Grundversicherungen, aber indirekt eben auch die Zusatzversicherung betreffen. Und der Blick für auf das Gesamte – die eigentliche Politik der Versorgung – schien immer mehr den einzelnen KVG-Baustellen und den politischen Expertenstreitigkeiten gewichen zu sein.
Und das Resultat?
Wir sehen uns aktuell mit effektiven Versorgungsengpässen und Finanzierungsproblemen konfrontiert und scheinen im Umgang damit ziemlich hilflos zu sein. Beispiele dafür Fachkräftemangel, fehlende Medikamente, Defizite in den Spitälern und allgemein ein schlechterer Zugang zur Medizin.
Eine Stimme hätten die zusatzversicherten Menschen verdient
Kein Mensch sprach davon, dass jedes Jahr über die Zusatzversicherungen weit mehr Prämien an das Gesamtsystem (mehr als 10 Milliarden Franken) geleistet werden, als dies die Kantone über Spitalbeiträge (ca. 8 Milliarden Franken) zahlen.
Die Krankenversicherer erzielten über die Zusatzversicherungen Gewinne. Die Spitäler konnten von den Erträgen seitens der Zusatzversicherten profitieren und damit die Kantone entlasten. Die Medizin profitierte von besseren Entschädigungen.
Damit konnte auch die Forschung unterstützt werden. Auch wurden damit kräftig neue Investitionen (Spitalbauten) getätigt. Alles Elemente, welche mithelfen, die Versorgung in unserem Land möglichst für viele zugänglich zu machen.
Dabei war es allen Zusatzversicherten klar, dass mit diesen Prämien auch ein «Sozialbeitrag» verbunden war. Interessant wäre auch, welches Steuersubstrat an Kantons- und Bundessteuern von eben diesen Versicherten im Verhältnis zu den reinen Grundversicherten geleistet wurde.
Weniger Leistungen für die Spitalzusatzversicherten
Es war nicht die politisch Linke auf Bundesebene, die den Schritt hin zu ambulanten Operationslisten einleitete. Es waren einige kantonale Gesundheitsdirektoren, welche gemeinsam mit einzelnen Krankenversicherern vorangegangen sind.
Der dabei resultierende Effekt für die Spitalzusatzversicherten: weniger Leistungen, weniger Wahlfreiheit und gleichbleibende Prämien. Den gleichen Effekt gibt es weiter aufgrund von Tarifschutz und mit dem Eingriff der Finma für Transparenz sowie dem Verbot von Doppelentschädigungen.
Ein Beispiel: Aufgrund dieser Operationslisten werden immer mehr OPs ambulant durchgeführt, auch wenn der eine oder andere Privatversicherte das Spital bevorzugen würde. Denn bei ambulanten Operationen geniesst er aufgrund des Tarifschutzes keine Vorteile wie eine Chefarztbehandlung oder die Unterbringung in einem Einzelzimmer. Zudem muss der Kanton, den mit jedem Spitaltag geschuldeten Sockelbeitrag ambulant nicht leisten.
Zweiklassenmedizin?
Das oberste Ziel der Gesundheitspolitik schien die konsequente Verhinderung der Zweiklassenmedizin zu sein. Dass man mit dieser Politik über die Zeit das Gegenteil davon erreicht, schien niemand in Betracht gezogen zu haben. Denn eines dürfte klar sein: Die wirklich wohlhabenden Menschen in der Schweiz werden sich auch in Zukunft ihre private Medizin einkaufen.
Und finanzpolitisch: Es ist schlichtweg fahrlässig, wenn die Mittel und Interessen, welche Private zu zahlen gewillt sind, nicht entsprechend berücksichtigt werden. Immer mehr gehen diese verloren, weil die entsprechenden Werteversprechen gegenüber den Versicherten und Patientinnen fehlen.
Und aktuell? Der verzweifelte Kampf um EFAS, Tardoc…
Aktuell steht die Politik vor der Frage einer Zeitenwende: Soll die oben beschriebene Politik jetzt (im letzten Moment) zementiert und deshalb über die nächsten zehn Jahre festgeschrieben werden? Oder hat man den Mut jetzt einen – hoffentlich geordneten – Marschhalt zu machen?
Weshalb statt neue bürokratische Riesenmonster zu verabschieden, nicht mal durchatmen? Weshalb sich nicht jetzt und gemeinsam mit der neuen Gesundheitsministerin oder dem Gesundheitsminister folgende Frage stellen: Wäre statt der einheitlichen Finanzierung von ambulant und stationär (EFAS) die Abschaffung des Tarifschutzes im ambulanten Bereich (unter gleichzeitiger Beibehaltung des Obligatoriums) nicht die weit einfachere und wesentlich wirkungsvollere Antwort?
Abschaffung des Tarifschutzes
Immerhin wären mit einer Abschaffung des Tarifschutzes bereits morgen die Weichen neu gestellt. Der Spielraum zur Förderung der ambulanten Medizin könnte effektiv an die Hand genommen werden. Der Druck von den Tarifwerken fiele weg. Die Verhandlungspartner hätten einen neuen Spielraum, den sie – allerdings vernünftig, verantwortungsbewusst und gemeinsam – zum Wohle der Menschen nutzen müssten. Es könnten 26 kantonale Planungsmonster für den ambulanten und den Pflegebereich verhindert werden.
Und: Den Zusatzversicherungen, der privaten Medizin und all den Menschen, die gewillt sind weit mehr als die Prämie für die obligatorische Grundversicherung zu entrichten, gäbe es zumindest so etwas wie eine neue Perspektive.
Über den Autor
Otto Bitterli hat sich ein Berufsleben lang an der Schnittstelle zwischen Privat- und Sozialversicherung bewegt. Er kommt ursprünglich von der Privatversicherungsseite (Winterthur) und hat dann bei der Sanitas als Geschäftsleitungsmitglied, als CEO und 1 Jahr als Verwaltungsratspräsident (VRP) gearbeitet. Aktuell ist er Berater und in mehreren VR und Boards tätig, unter anderem als VRP der Helvetic Care AG.