Mein Arbeitsfeld Islam und Islamismus gibt mir leider selten Anlass zu Glücksmomenten. Es ist ein auf Langfristigkeit angelegtes politisches Engagement, das viel Widerstandskraft erfordert.
Umso wichtiger ist es mir, Menschen, Orte und Momente zu haben, die mich von meinem Arbeitsfeld losreissen und mir andere, unbeschwerte Sichtweisen ermöglichen. Auf einem Spaziergang, einer Wanderung, einer Reise oder mit einem Buch gelingt es meistens, mich aus meinem Thema herauszuholen und mich davon zu erholen.
Über Saïda Keller-Messahli
Saïda Keller-Messahli (64) ist eine muslimische Menschenrechtsaktivistin und Islamismus-Expertin. Als Fünfjährige kam sie über Terre des Hommes als Pflegekind in die Schweiz, weil ihr Vater erblindete und ihre 10-köpfige Familie in Armut lebte. Die studierte Romanistin ist in der Öffentlichkeit bekannt, weil sie gegen radikale Muslime kämpft und Probleme in Schweizer Moscheen aufdeckt.
Ausserdem gründete Keller-Messahli, die keine praktizierende Muslimin ist, das Forum für einen fortschrittlichen Islam und gehört zu den Gründerinnen der liberalen «Ibn Rushd – Goethe Moschee» in Berlin. 2016 erhielt sie für ihren Einsatz den Hauptpreis der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte/Sektion Schweiz.
Erwachsene setzen mich immer mit meinem Arbeitsthema gleich
Schwierig ist es aber, mit erwachsenen Menschen abzuschalten, weil mich fast alle mit meinem Arbeitsthema gleichsetzen und wie automatisch beginnen, mir dazu Fragen zu stellen. Sie erwarten mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit eine Antwort, manchmal fast ein privates Referat. Solche Leute hinterlassen bei mir den Eindruck von fehlender Einfühlungsfähigkeit. Ich versuche ihnen möglichst aus dem Weg zu gehen.
Ganz anders sieht es in der Welt von kleinen Kindern aus. Da tauche ich sehr gerne ein, da bin ich glücklich. Meine Enkel (sie werden im neuen Jahr 5 und 2) haben mir den Zugang zu dieser Welt wiedereröffnet. Sie ist wunderbar und geheimnisvoll. In ihr ist alles möglich, sie lässt sich ganz einfach nach Wünschen und Vorstellungen gestalten. Es genügt, ein bisschen Vorstellungskraft zu haben, eine Geschichte zu erfinden, so zu tun, als wäre da noch eine andere, ganz reale Wirklichkeit und schon erlebt man, was Glück auch bedeuten kann.
Was macht Sie glücklich?
Was macht Sie glücklich? In der Weihnachtszeit suchen wir Menschen, die uns auf helveticcare.ch diese Frage beantworten. Schreiben Sie uns ein Mail auf [email protected], wenn Sie bei uns etwas publizieren möchten. Wir freuen uns über viele Zuschriften.
Mit meinen Enkeln tauche ich in eine andere Welt ein
Wenn mich meine Enkel bitten, in eine Rolle zu schlüpfen, sei es die eines Jägers, einer Gepardenmama oder eines Polizisten, oder mich bitten, etwas zu erzählen, vorzulesen, zu singen oder zu spielen, so übernehme ich immer sehr motiviert. Das erlaubt mir, mit ihnen in ihre Welt einzutauchen und zu erfahren, was ihnen besonders am Herzen liegt, wovor sie sich fürchten, was sie sich wünschen, wie sie Konflikte lösen oder was sie gerade beschäftigt.
Vor ein paar Tagen wurde ich gebeten, etwas zu singen. So spontan fiel mir nur die Marseillaise ein. Zum Glück wissen meine Enkel noch nichts vom blutrünstigen Text der französischen Nationalhymne! Die Melodie gefiel ihnen so sehr, dass ich das Lied bis zur Heiserkeit wiederholen musste. Der jüngere Enkel, dem Sprechen noch nicht mächtig, hat dazu auf einem Stuhl stehend voller Elan getanzt. Der ältere Enkel hat konzentriert auf seine Mundbewegungen versucht, sich den französischen Text zu merken. Einfach herrlich!
Spielend verwandeln die Kleinen gewöhnliche Alltagsgegenstände in Gewehre, Bäume, Geparde, Giraffen, Höhlen, Strassen und Diebe. Lässt man sich auf ihre Vorstellungskraft und Kreativität ein, erlebt man Augenblicke von Glück, von denen man lange zehren kann.