Da ist man so richtig eingelullt in der reichen Schweiz: Vom ersten Arbeitstag an haben Sie in die AHV und die Pensionskasse (PK) einbezahlt. Auch haben Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten immer etwas Geld auf die Seite gelegt. Wenn Sie die wunderbaren Bilder der Freiheit Ihrer bereits pensionierten Kolleginnen und Kollegen anschauen, dann freuen Sie sich so richtig auf Ihre Zukunft. Schliesslich hat man Ihnen beigebracht, dass Sie dann den bisherigen Lebensstandard locker weiterführen können.
Doch dann kommt der harte Aufprall: Ihre Pensionskasse senkt den Umwandlungssatz. Das hat man Ihnen zwar gesagt, aber erst als Sie die konkreten Zahlen auf dem Ausweis sehen, verstehen Sie, dass da einiges anders geworden ist.
Jetzt kostenlos anmeldenOtto Bitterli (59) ist Verwaltungsratspräsident bei Helvetic Care und selbstständiger Berater im Gesundheitswesen. Von 2005 bis 2019 war er CEO und Verwaltungsratspräsident der Sanitas Krankenversicherung.
Es gibt grundsätzlich zwei Wege im Umgang mit dieser Situation:
1. Sie legen den Pensionskassenausweis einfach ab, weil Sie ja eh nichts ändern können.
2. Sie klemmen sich dahinter und versuchen zu ermitteln, was das für Sie und Ihre Angehörigen bedeutet.
Auch wenn es auf den ersten Blick mühsam ist, plädiere ich stark für den zweiten Weg. Nehmen Sie sich aktiv der Problemstellung an. Es lohnt sich.
Es gibt viele gute Beraterinnen und Berater, welche die komplexe Materie verstehen. Aber: Eine Beratung kann die selbständige Auseinandersetzung mit Ihrer Finanzsituation nicht ersetzen. Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als selbst aktiv zu werden.
Versuchen Sie, sich schrittweise heranzutasten:
1. Nehmen Sie den Pensionskassenausweis zur Hand.
2. Versuchen Sie, für sich selbst zu ermitteln, was Sie bei der Pensionierung weshalb genau erhalten und was für Ihren Partner als Rente zur Verfügung stehen würde.
3. Berechnen Sie, was Sie bei einer Frühpensionierung genau erhalten würden. Auch wenn das faktisch für Sie nicht infrage kommt, spielen Sie das für sich durch. Sie erhalten Übung.
4. Versuchen Sie, sich ein Bild über Ihre gesamte finanzielle Situation zu machen und zu überlegen, was dies für Sie bedeuten könnte.
5. Schreiben Sie sich parallel alle Fragen auf, die Sie haben.
6. Sprechen Sie mit Freunden, mit Arbeitskolleginnen und -kollegen. Es stehen alle vor der gleichen Situation und Sie werden dabei viel lernen.
Jetzt kostenlos anmeldenBestellen Sie bei der Eidgenössischen Ausgleichskasse einen Auszug aus Ihrem AHV-Konto. Überprüfen Sie, ob Ihre Beitragszahlungen lückenlos sind und die Höhe Ihrer AHV-Anspruchsberechtigung. Dafür benötigen Sie circa einen Monat Zeit, da die AHV die entsprechenden Ausweise erstellen muss. Erst dann können Sie bestimmen, wie viel Rente Sie aus der ersten Säule erhalten.
Bestellen Sie den AHV-AuszugWerfen Sie nun nochmals einen Blick auf die Leistungen aus Ihrer Pensionskasse (2. Säule). Versuchen Sie, die genaue Differenz zu ermitteln zwischen dem, was Sie vor der Senkung des Umwandlungssatzes erhalten hätten und der aktuellen Situation. Wichtig ist, zu begreifen, was da alles dahintersteckt. Denn sehr häufig wird bei einer PK-Anpassung nicht nur die Senkung des Umwandlungssatzes angepasst, sondern es spielen weitere Faktoren eine Rolle – zum Beispiel der technische Zins, die zugrunde gelegte Verzinsung oder die neue Ausgestaltung der Frühpensionierung.
Gehen Sie dem konsequent nach, fragen Sie beim Arbeitgeber oder direkt bei der Pensionskasse nach. Bleiben Sie hartnäckig, auch wenn Sie nicht die gewünschte Antwort erhalten. Lassen Sie sich nicht abspeisen – jede Frage ist berechtigt.
Prüfen Sie auch unter diesem Link, ob Sie «vergessene» Freizügigkeitsansprüche bei einer Pensionskasse oder Auffangeinrichtung besitzen.
Ermitteln Sie das mutmassliche Einkommen im Alter von 65, das aus Ihrer AHV und Ihrer Pensionskasse besteht. Überlegen Sie sich, wie hoch bei einer Pensionierung mit 64 oder mit 63 das Einkommen wäre und denken Sie daran, dass in einem solchen Fall die AHV weiterhin geschuldet ist.
Sie werden zum Beispiel als Frau auf die interessante Frage stossen: Was passiert eigentlich, wenn Sie mit 64 bereits die AHV erhalten und weiterhin bis 65 arbeiten? Denn auch die AHV kann aufgeschoben werden. Konfrontieren Sie den Arbeitgeber mit Ihren Fragen.
Überlegen Sie sich, wie das mutmassliche Einkommen bei Ihrer Pensionierung mit den künftigen Aufwänden (Haushaltsbudget) im Einklang stehen könnte. Schauen Sie sich die Hauptpositionen heute an und vergleichen Sie diese mit den künftigen Aufwänden. Sie werden keine Pensionskassen-Beiträge mehr bezahlen müssen, aber Sie sind weiterhin steuerpflichtig.
Überlegen Sie, wo Sie Ihre Aufwände in Zukunft reduzieren können. Das ist ein hartes Stück Arbeit, aber in den meisten Fällen unumgänglich. Versuchen Sie Einsparpotentiale positiv zu identifizieren – sprich: Eigentlich ist es ja für mich und mein Leben positiv, wenn ich für gewisse Dinge bewusst weniger ausgebe.
Vergessen Sie nicht, dass Sie Ausgaben wie Zahnbehandlungen oder Ersatzinvestitionen haben, die unregelmässig anfallen können.
Machen Sie sich ein Bild über die gesamte Vermögenssituation:
Versuchen Sie, Ihre jetzige Vermögenssituation mit derer nach der Pension zu vergleichen und überlegen Sie sich, wie sich diese entwickeln könnte. Dazu gehören unter anderem Amortisation von Eigentum, Ersatzinvestitionen oder allfällige Erbansprüche. Wichtig ist es auch zu wissen, was wegfällt: zum Beispiel die Beiträge an die dritte Säule, die Kosten für den Arbeitsweg oder die Ausbildung.
Wenn Sie sich ein Gesamtbild der finanziellen Situation gemacht haben: Holen Sie die im Laufe des Prozesses formulierten Fragen hervor. Gratulieren Sie sich dazu, dass Sie mittlerweile viele Fragen selbst beantworten können. Seien Sie stolz!
Jetzt kostenlos anmeldenWählen Sie sorgfältig eine Beratung aus. Dabei spielt nicht nur die Institution (Bank, Versicherung, Treuhand etc.) eine Rolle, sondern insbesondere die Person, die Sie berät. Diskutieren Sie mit der Beraterin oder dem Berater Ihre bisherigen Erkenntnisse und überprüfen Sie, wo Sie richtig und wo Sie falsch liegen. Sie werden sehr schnell feststellen, ob die beratende Person für Sie die richtige ist.
Gemeinsam mit der Beraterin und dem Berater können Sie die weiteren Möglichkeiten prüfen. Es sind Themen wie:
Es führt kein Weg daran vorbei, dass Sie sich über Ihre finanzielle Situation und Möglichkeiten in der Zukunft selbst im Klaren sind.
Sprechen Sie, auch wenn es nicht zur vordringlichen Eigenart von Schweizerinnen und Schweizern gehört, mit anderen über Ihre Situation. Es stehen sehr viel Menschen vor der gleichen Problemstellung und Sie können von anderen lernen.
Die Möglichkeiten, die finanzielle Situation nachhaltig zu verbessern, sind begrenzt. Viele finanzielle Elemente sind im Alter von über 55 bereits fixiert. Setzen Sie sich deshalb aktiv und positiv mit den Optionen für Ihre Zukunft auseinander. Nutzen Sie die notwendigen Veränderungen als Chance. Bestimmen Sie, wie Sie selbstbestimmt im Alter leben möchten. Holen Sie sich die richtige Beratung, aber seien Sie vorsichtig und bleiben Sie kritisch.
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