«Wo sind die älteren weiblichen Verwaltungsrätinnen? Warum sind so viele Seniorinnen arm?
Diese Beispiele zeigen auf, dass Geschlechterdiskriminierung im Alter nicht aufhört. Leider müssen viele Frauen mit zahlreichen Nachteilen leben. Besonders zeigt sich dies bei den Finanzen. Schweizweit ist jede 8. Person von der Altersarmut betroffen, die grosse Mehrheit davon sind Frauen. Das ist ein Skandal in unserem reichen Land und ein Fehler im System.
Doch davon ist leider viel zu wenig die Rede. Stattdessen wird die Schuld den betroffenen Seniorinnen zugeschoben, obwohl Frauen mindestens gleich viele Stunden wie die Männer arbeiten. Vielleicht waren sie in schlecht bezahlten Jobs, sorgten für ihre Kinder oder haben eine Scheidung hinter sich. Warum kümmert sich die Politik nicht stärker um diese Frauen?
Das bricht mir das Herz
Ich kenne einige Frauen, die gerade mal so ihre Miete bezahlen können. Ins Café gehen oder eine gute Freundin bei sich zu Hause zum Znacht einladen? Das liegt vielleicht einmal im Monat drin. Mir bricht dies das Herz. Diese Frauen haben nicht nur ständig finanzielle Sorgen, sondern erfahren auch gesellschaftliche Ausgrenzungen. Denn für viele Aktivitäten braucht es nun mal das nötige Kleingeld.
Auch ist es erniedrigend, wenn die Behörden bestimmen, wofür du wie viel Geld ausgeben darfst. Eine Freundin bezieht Sozialleistungen und leidet unter Osteoporose. Das Baden im warmen Wasser lindert diese massiv, doch die Behörden wollen für das Wärmebad nicht aufkommen. Ist ja nicht obligatorisch.
Über Zita Küng
Die Zürcherin Zita Küng (69) ist Juristin, Organisationsberaterin und gehört zu den bekanntesten Feministinnen der Schweiz. Von 1990 bis 1996 war sie Leiterin des «Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann» der Stadt Zürich. Mit EQuality berät sie seit 1999 Unternehmen und Organisationen mit Fokus auf Geschlechterfragen. Zudem coacht sie Frauen, die ihren Einfluss geltend machen wollen, setzt Akzente in der Gender- und Diversity-Diskussion und teilt ihr Wissen in Vorträgen und Seminaren.
Man muss komplett neu denken
Wie kann man das Problem lösen? Man muss komplett neu denken, statt immer nur die Altersvorsorge sanieren zu wollen. Die Gesellschaft sollte sich überlegen, wie viel es braucht, damit alle im Alter anständig leben können und dann das nötige Geld in den Topf einspeisen.
Dafür war ja ursprünglich die AHV gedacht, nur sind die Renten viel zu gering. Die Menschen sollten also viel mehr in diesen Topf einzahlen, sei es über die Steuern oder über Lohnabzüge. Dass dies kein Klacks ist, ist klar. Doch letztlich würde man damit viel Geld sparen. Schliesslich werden Armutsbetroffene häufiger krank, was die Gesundheitskosten in die Höhe treibt.
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Die Frage nach Gerechtigkeit trieb mich schon früh um
Die Frage nach Gerechtigkeit trieb mich schon früh um. Ich fragte mich als junge Frau, warum ich gewisse Freiheiten nicht habe oder ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen soll. Ich studierte Jura und war in feministischen Bewegungen aktiv. Hier konnte ich mich mit Gleichgesinnten austauschen.
Ich blicke auf eine spannende Karriere zurück. So startete ich mit einer Kollegin das Stadtzürcher Büro für die Gleichstellung und war Geschäftsleitungsmitglied der Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI), bevor ich mich 1999 selbständig machte.
Eine solide Altersvorsorge konnte ich nicht aufbauen
Nun bin ich fast 70 und berate noch immer mit meinem Unternehmen «EQuality» Organisationen und Unternehmen mit Fokus auf Geschlechterfragen. Eine interessante und sinnstiftende Aufgabe, die aber leider nicht sehr lukrativ ist.
Ich konnte zwar davon immer leben, für eine solide Altersvorsorge reichte es aber nicht. So war der Gewinn meines Unternehmens zu klein, als dass ich den vollen AHV-Beitrag bezahlen konnte und für die Säule 3a war ja kein Geld da. Sollte ich einmal nicht mehr arbeiten können, droht mir, dass ich Ergänzungsleistungen beziehen muss.
Für die Zukunft bin ich nicht optimistisch
Dafür will ich aber kein Mitleid, sondern Änderungen im System. Sicher hat die Frauenbewegung viel erreicht, wenn man bedenkt, dass wir in den frühen 70ern noch nicht wahlberechtigt waren. Trotzdem bin ich nicht optimistisch, dass die jungen Frauen im Alter mal finanziell besser dran sind als meine Generation. Noch immer verdienen sie deutlich weniger. Noch immer leisten sie die hauptsächliche Care-Arbeit und stecken ihre berufliche Karriere zurück.
Immerhin werden bei der AHV mittlerweile Erziehungs- und Betreuungsgutschriften angerechnet, doch das reicht nicht. Care-Arbeit sollte entlöhnt werden, schliesslich profitiert der Staat davon. Denn jährlich wird in der Schweiz von den Frauen unbezahlte Arbeit im Wert von 246 Milliarden Franken geleistet. Warum sollen die Betroffenen für ihren gesellschaftlich notwendigen Einsatz die Zeche zahlen?
Wo sind die älteren Verwaltungsrätinnen?
Und da sind noch die Benachteiligungen von älteren Frauen in der Arbeitswelt, obwohl momentan alles von Diversität spricht. Die Realität zeigt ein anderes Bild. Nehmen wir die Verwaltungsräte: Da werden Frauen gesucht. Gefunden wird mittlerweile häufig eine junge, tüchtige Frau. Die sitzt dann unter alten weissen Männern.
Wo sind die älteren Verwaltungsrätinnen? Warum werden sie mit dem Alter aus den Führungsetagen aussortiert, warum zählt ihre Erfahrung nicht? Sichtbarkeit und Wertschätzung wünsche ich mir für uns ältere Frauen.»
Das Gespräch wurde von Maja Sommerhalder aufgezeichnet.