So viel Betrieb wie an diesem 9. März ist in der Eingangshalle des Berliner Hauptbahnhofs wohl nicht mal am Anfang der Sommerferien. Doch von Urlaubsstimmung keine Spur. Erschöpfte Menschen irren durch das Gebäude mit der eindrucksvollen Glasfassade.
Zwei ältere Frauen und eine Teenagerin aus Winnyzja suchen den Zug nach Köln – gar nicht so einfach, wenn alles auf Deutsch angeschrieben ist. Da hilft ein gebürtiger Weissrusse, der seit vielen Jahren in Berlin lebt. «Die drei haben in Köln eine Bleibe. Sie hoffen aber, dass sie so schnell wie möglich in die Ukraine zurückkönnen», übersetzt er. Die Frauen hetzen zum Perron, auch der Helfer muss weiter, um Essen zu verteilen.
In der Ukraine bangt ein grosser Teil der Bevölkerung um ihre Zukunft - es ist anzunehmen, dass die Not bei den älteren Betroffenen mit am Grössten ist. Deshalb möchten wir mit unserem Spendenaufruf für das Rote Kreuz helfen, Leid zu lindern. Wenn Sie das Rote Kreuz unterstützen möchten, klicken Sie auf den Button.
Jetzt spendenSo wie er sind an diesen Tagen viele Berliner ehrenamtlich am Hauptbahnhof im Einsatz. Es gibt viel zu tun, denn pro Tag kommen hier über 10.000 Kriegsflüchtlinge an. Dass der Ort langsam an seine Kapazitätsgrenzen stösst, wird im Untergeschoss deutlich. Hier wurde eine Art Ankunftszentrum für die Flüchtenden geschaffen. Auf Bänken sitzen Menschen dicht an dicht – die Masken auf Kinnhöhe, die Blicke sind leer.
Die Berlinerin Bärbel Behrens (l) bietet diesen drei Frauen eine Unterkunft an (Bilder: som).
«In meiner 3-Raum-Wohnung ist genug Platz», sagt die Ärztin.
Impressionen von der Ankunftshalle im Berliner Hauptbahnhof.
Tausende von Flüchtlingen aus der Ukraine kommen hier an.
Hier erhalten sie Essen, SIM-Karten oder neue Kleidung.
Mit solchen Schildern versucht man ihnen Orientierung zu geben.
Zusätzlich sind viele Helfer im Einsatz. So wie dieser Mannn, der beim Übersetzen hilft.
Andere stehen Schlange, um Essen, neue Kleidung oder eine Information zu erhalten. Die 73-jährige Yaroslava wartet auf eine SIM-Karte. «Jeden Tag wurde es in meiner Heimat gefährlicher», sagt sie. Zwei Tage dauerte die Reise nach Deutschland, mit Bus und Bahn war es vergleichsweise komfortabel. Die Frau neben ihr in der Schlange erzählt, wie sie zur polnischen Grenze lief – 15 Stunden dauerte das. Wie es jetzt weitergeht, wissen sie beide noch nicht. Yaroslava möchte erst mal in Berlin bleiben, eine Unterkunft hat sie noch nicht.
Weiter nach Amsterdam und dann nach Kanada zu ihren Verwandten möchte Halyna, eine Malerin um die 70. «Leider weiss ich nicht, wie die Einreisebestimmungen sind. Seit einigen Tagen sitze ich hier fest», sagt sie. Schweisstropfen perlen von ihrer Stirn.
Eine in Berlin lebende Ukrainerin versucht ihr zu helfen: «Ist doch logisch, dass ich hier bin. Es geht um mein Land.» Seit Kriegsausbruch habe sie kaum geschlafen: «Ich mache mir solche Sorgen, um meine Schwester und meine Eltern.» Neben ihrem Haus in Charkiw explodierten Bomben, derzeit sei die Flucht aus der Stadt unmöglich. «Insbesondere ältere Menschen können ihre Häuser nicht verlassen, da sie bei einem Angriff nicht wegrennen können. Ich hoffe so sehr, dass ihnen die Ausreise bald gelingt.»
Doch wie weiter nach der Flucht? Das fragen sich wohl zurzeit viele, die hier gestrandet sind. Die Berlinerin Bärbel Behrens möchte wenigstens ein paar Ukrainern eine Unterkunft bieten. «In meiner 3-Raum-Wohnung ist genug Platz. Ich nehme auch Leute mit Hund.» Doch auch sie muss lange vor dem Infostand warten. Die Helferinnen und Helfer sind für die Vermittlung zu beschäftigt. Nicht mal einen Abnehmer für die vielen Medikamente, die Behrens mitgebracht hat, findet sie.
Doch dann geht alles ganz schnell. Drei Frauen sind gefunden. Behrens begrüsst sie herzlich auf Russisch, die übrige Verständigung läuft mit Händen und Füssen. Zu viert verlassen sie das provisorische Ankunftszentrum ohne Tageslicht. Draussen strahlt die Frühlingssonne. Neue Züge mit Flüchtlingen kommen am Hauptbahnhof Berlin an.
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