Was zeichnet ältere Arbeitnehmer aus?
Eine wichtige Frage, und darüber wird zu wenig gesprochen. Sie haben viel Erfahrung und sind aufgrund ihrer Lebenssituation verlässliche Arbeitnehmer. Karriereambitionen, Weltreise und Sabbatical haben sie abgehakt. Während ein jüngerer Bewerber nach wenigen Jahren möglicherweise weiterzieht, kann ein Ü50-Bewerber sagen: «Ich biete Ihnen, wenn es gut läuft, für die nächsten zehn Jahre meine Dienste an.» Das kann für ein Unternehmen ausschlaggebend sein. Ältere Bewerberinnen und Bewerber sollten diesen Trumpf also ausspielen, wenn sie zum Gespräch eingeladen sind.
Trotzdem ist es nicht immer einfach, im Alter die Stelle zu wechseln. Häufig muss man Lohneinbussen in Kauf nehmen.
Das ist tatsächlich der Fall. Die Bewerberinnen und Bewerber sind sich dessen auch bewusst. Die Entlohnung ist in der Regel nicht das Hauptkriterium für eine Stellenzusage. Man ist froh, findet man einen Job, der einem entspricht.
Sie haben im letzten Interview das Thema Altersunterschied zwischen jüngerem Bewerber und älterem Vorgesetzten angesprochen. Wird das in den Unternehmen überhaupt thematisiert?
Nein, das ist ein Tabu. Man spricht nicht darüber. Vorgesetzte geben nicht gerne zu, dass sie sich vor erfahrenen, möglicherweise besser qualifizierten Mitarbeitenden fürchten. Es ist einfach, jemanden nicht einzustellen. Nur wenige stehen dazu. Als ich mich für einen Job als Stellvertreter des CEO beworben hatte, sagte mir der deutlich jüngere CEO nach einem sehr guten Gespräch – und ich dachte, ich bekäme die Stelle –, er würde mich nicht einstellen, weil er befürchte, durch meine Einstellung am eigenen Stuhl zu sägen. Er sagte: «Sie wissen, wie Verwaltungsräte funktionieren. Wenn ich die Vorgaben nicht erfülle, greifen sie möglicherweise auf die Nummer Zwei, also auf Sie, der grosse Branchenerfahrung mitbringt, zurück. Das will ich natürlich nicht.» Seine Ausführungen waren schmerzhaft, aber ich konnte sie nachvollziehen.
Kurt Hochstrasser
Über Kurt Hochstrasser
Kurt Hochstrasser, 67, ist seit zwei Jahren im Ruhestand. Er blickt auf eine reiche berufliche Erfahrung zurück. Er machte eine Banklehre, arbeitete als Ringhändler an der Börse Zürich, war rund zwanzig Jahre bei der Fachhandelskette Beldona, davon 11 Jahre als CEO. Zudem hat er im Goms zusammen mit Koni und Clara Hallenbarter ein Langlaufresort geführt und amtete in zwei Hotelbetrieben als Verwaltungsratspräsident. Nach einem Stellenverlust arbeitete er als Unternehmensberater im Detailhandel. Die letzten Berufsjahre, von 2013 bis 2020, war er Personalberater beim RAV Wohlen.
Sollten sich ältere Arbeitnehmende nicht frühzeitig mit der eigenen Arbeitsmarktsituation befassen?
Das wäre wünschenswert. Sich immer wieder überlegen, wie sich der eigene Beruf und die Branche wandeln. In welche Richtung es geht. Welche Weiterbildung allenfalls sinnvoll ist, damit ich auch in Zukunft fit bin. Meine Erfahrung hat aber gezeigt, dass dies nur wenige tun. Solange sie eine Anstellung haben, kümmern sie sich nicht um ihre Arbeitsmarktfähigkeit. Dafür umso mehr, wenn sie die Stelle verlieren.
Was passiert dann?
Viele fallen aus allen Wolken, sind erstaunt und gekränkt. Viele der heute fünfzig- und sechzigjährigen Fachkräfte sind in ihrem Leben noch nie entlassen worden. Das ist ein Schock, der zu ernsthaften gesundheitlichen und familiären Problemen führen kann. Hinzu kommen Statusverlust und finanzielle Schwierigkeiten.
Was ist zu tun?
Ganz wichtig ist, dass die Betroffenen Hilfe aufsuchen. Sie erfahren so mentale Unterstützung und werden im Bewerbungsprozess begleitet. Wer sich noch nie beworben hat, ist auf Unterstützung angewiesen. Wie verfasst man zum Beispiel ein korrektes Bewerbungsdossier, das bei einer 30-Sekundensichtung nicht durchfällt? Was kommt ins Dossier rein, was nicht. Welche Kernkompetenzen, die mich für einen Job qualifizieren, kommuniziere ich? Welche selbstverständlichen Soft Skills lasse ich weg, und gewichte dafür die Hard Skills intensiver. Vor allem braucht es eine Suchstrategie. Was suche ich? Wie suche ich? Wo suche ich? Für Fachkräfte mag das klar sein, für Generalisten, und das sind viele ältere Arbeitnehmer, ist das schwieriger.
Machen es sich Stellensuchende zu einfach mit dem Erstellen einer Bewerbung?
Häufig ja. Ein gutes Dossier braucht Zeit, man sollte dafür mehrere Tage aufwenden. Keine Standardschreiben. Lebenslauf und Motivationsschreiben müssen auf die Stellenausschreibung abgestimmt sein und – nochmals – bei einer Sichtungszeit von 30 Sekunden funktionieren.
Viele Vertreter der Generation 50plus haben sich nicht weitergebildet, verfügen über keine Diplome.
Das ist ein Problem. Sie haben zwar eine enorme berufliche Erfahrung und haben sich viel Wissen und Handwerk on the job angeeignet. Aber das zählt bei diplomgläubigen HR-Leuten nicht. Es geht halt schneller zu checken, welche Weiterbildungsabschlüsse jemand mitbringt, als sich darüber klarzuwerden, über welche Qualifikationen jemand aufgrund seiner Erfahrung verfügt. Diese meist älteren Bewerber sind hier im Nachteil gegenüber einer jüngeren Generation, die stark auf Abschlüsse setzt.
Wie wichtig sind Netzwerke?
Sehr wichtig. Man muss das eigene Netzwerk pflegen – immer und vor allem bei Stellenverlust und -suche. Man sollte das Netzwerken systematisch angehen, Freunden, Bekannten, Berufskollegen mitteilen, dass man auf Stellensuche ist, ihnen allenfalls eine kurze Dokumentation, eine Kurzfassung des Lebenslaufes aushändigen: das zeichnet mich aus, das sind meine Erfahrungen, das suche ich.
Wie sinnvoll sind Spontanbewerbungen?
Das lohnt sich auf jeden Fall. Viele Stellen werden nicht ausgeschrieben, weil die Arbeitgeber auf frühere Bewerbungen zurückgreifen. Eine grosse Anzahl von Jobs ist auch auf den Sites der Unternehmen zu finden. Deshalb ist es so wichtig, dass man die digitalen Hilfsmittel nutzt. Wer zum Beispiel bei einem RAV gemeldet ist, hat Zugriff auf Stellensuchmaschinen, die Inserate von Firmen systematisch erfassen und den Stellensuchenden, ihrem Profil entsprechend, zuspielen. Alleine und händisch kann man das nicht leisten.
Die Arbeitswelt ist im Wandel, Unsicherheit nimmt zu. Wäre es da nicht sinnvoll, von Vollzeitanstellungen wegzukommen und auf neue Arbeitsmodelle mit mehreren Jobs zu setzen?
Zuerst gilt es einmal festzuhalten. Viele Berufe sind relativ sicher. Gute Handwerker zum Beispiel finden auch in Zukunft Arbeit. Die Digitalisierung bedeutet da kaum eine Bedrohung. Die Risikominimierung, die Sie ansprechen, funktioniert nur in bestimmten Berufen. Bei befristeten Projekten oder Lehraufträgen zum Beispiel kann das möglich sein. Bei vielen anderen Tätigkeiten ist es schwierig, mehrere Teilanstellungen zu kombinieren, weil sie sich halt doch in die Quere kommen können. Grundsätzlich sind mehrere Standbeine natürlich gut. Es braucht jedoch von Arbeitgeber und Arbeitnehmer viel Flexibilität.
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