Frau Onken, im Laufe des Zusammenlebens kommt es bei vielen Paaren zu einer Abkühlung der einst so leidenschaftlichen Gefühle. Woran liegt das?
Julia Onken: Im Laufe der Jahre durchläuft jeder Mensch einen Entwicklungsprozess und beginnt sich mit existenziellen Fragen zu beschäftigen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wozu bin ich auf der Welt? Was ist der Sinn des Lebens? Was kommt nach dem Tod?
Und solche Gedanken führen unweigerlich zu einer Entfremdung?
Wenn beide sich mit diesen Themen beschäftigen, gibt es kein Problem. Erfahrungsgemäss ist es eher der Mann, der sich weniger für solche Fragen interessiert und lieber auf seiner Moto Guzzi durch die Gegend braust, während die Frau zusammen mit ihrer besten Freundin im Kaffeehaus sitzt und über Gott und die Welt philosophiert. Eine solche Konstellation ist die beste Voraussetzung für eine Beziehungskrise.
Das klingt so, also ob es immer am Mann liegen würde, wenn die Beziehung in die Brüche geht. Ist das nicht eine einseitige Betrachtung?
Sie haben recht, das geht natürlich nicht. An einer Beziehungskrise haben beide ihren Anteil. In meinen Therapien und Seminaren begegne ich immer wieder unzufriedenen Frauen, die sich über ihre Männer beklagen, weil sie ihre Interessen nicht teilen oder zu oberflächlich geworden sind. Sie sind an einem Punkt angekommen, wo sie sich sagen «Es reicht, ich kann nicht mehr.»
Wie können die Männer dazu gebracht werden, sich mit tiefgreifenderen Dingen zu beschäftigen?
Wir sprechen hier nicht von Umerziehung, sondern von Respekt gegenüber den Interessen des Partners. Den andern so zu akzeptieren, wie er ist. Das hat mit Liebe zu tun!
Können gemeinsame Aktivitäten ein Paar wieder zusammenführen?
Nein, im Gegenteil. Die Vorstellung, man müsse als Paar alles zusammen machen, ist ein absoluter Beziehungskiller. Zusammen Joggen gehen, zusammen Segeln gehen, obwohl es den andern «aschiist», das alles schadet einer Partnerschaft. Eine solche Vorstellung von einer Beziehung ist oft die Wurzel des Übels, weil der eine etwas tut, was ihm zuwider ist.
Und auf der Couch beim Fernsehen eskaliert dann der Konflikt.
Genau, wenn der eine das Gefühl hat, ständig zurückstecken zu müssen. Die Frau möchte sich einen romantischen Film anschauen, er hingegen will Fussball gucken. Einer ist immer der Verlierer. Im Kampf um die Herrschaft über die Fernbedienung entzündet sich die Frustration und Unzufriedenheit darüber, in der Partnerschaft nicht auf seine Kosten zu kommen.
Was ist denn so schlimm daran, wenn ich die Interessen des Partners nicht in dem Masse teilen kann, wie es sich das wünscht? Ich kann ihn ja trotzdem lieben.
Sätze wie «Du mit deinen blöden Schnulzen» oder «Du mit deinem blöden Fussball» sind Gift für eine Partnerschaft. Mit abwertenden Aussagen wie diesen untergrabe ich das Fundament einer Beziehung. Jeder hat das Bedürfnis geliebt und respektiert zu werden, und zwar so, wie sie oder er ist.
Welche gemeinsamen Aktivitäten können eine Beziehung beflügeln?
Solche, an denen beide haben und jeder auf seine Kosten kommt. Allerdings muss man aufpassen, dass die Probleme nicht überdeckt werden. Wenn ich keine Lust habe, mich mit dem Partner zu unterhalten, und nur aus diesem Grund mit ihm ins Kino gehe, bringt das natürlich nichts.
Über Julia Onken
Julia Onken (79) ist diplomierte Psychologin, Psychotherapeutin und Leiterin und Gründerin des Frauenseminars Bodensee in Romanshorn. Sie ist Autorin zahlreicher Sachbücher zu den Themen Beziehung, Emanzipation und Selbstbehauptung. Julia Onken ist geschieden, hat zwei Töchter und lebt seit vierzig Jahren in einer Partnerschaft.
Buchtipp: Julia Onken, Im Garten der neuen Freiheiten. Ein Reiseführer für die späten Jahre, 2018.
Was ist der grösste Fehler, den man machen kann, wenn es in der Beziehung zu kriseln beginnt?
Zu versuchen den Partner zu verändern. Es sind vor allem die Frauen, die hier emsig ans Werk gehen. Ich rede hier aus dem Nähkästchen, weil ich als Therapeutin genau weiss, wie Frauen ticken. Sie denken sich allerlei Strategien aus, damit er endlich begreift, was er zu tun hat.
Weshalb kann das nur schief gehen?
Es ist Ausdruck einer totalen Vermessenheit und Respektlosigkeit gegenüber dem Partner.
Weshalb tun das die Frauen ihren Männern an?
Oft haben Frauen die Idee, sie seien berechtigt dafür zu sorgen, dass sich der Partner ihren Vorstellungen entsprechend verhält.
Woran stören sich die Frauen am meisten, die in einer langjährigen Beziehung sind?
Am häufigsten werden zwei Dinge genannt: Die mangelnde Körperpflege und der Kleidungsstil. Die Frauen wünschen sich, dass er sich täglich die Unterwäsche wechselt, regelmässig duscht und sich die Haare wäscht. Oder sie stören sich daran, dass er stets dieselben ausgewaschenen Jeans trägt. «Damit wollte er sogar zum Weihnachtsessen gehen, dabei habe ich ihm doch die schöne Hose bereitgelegt», bekomme ich etwa zu hören.
Und der Wunsch nach mehr Ordnung und Mithilfe im Haushalt?
Das sind die Klassiker. Während die Frau keine Möglichkeit hat, sich vor der Hausarbeit zu drücken – schliesslich gehört diese Arbeit zum «Frausein» dazu – gefällt sich der Mann in seiner komfortablen patriarchalen Rolle und lässt sich bedienen, statt selbst Hand anzulegen.
Was raten Sie, wenn im Bett tote Hose herrscht?
Alles hat seine Zeit. Auch der Sex.
Hat Sex ein Ablaufdatum?
Zu Beginn einer neuen Beziehung spielt die körperliche Anziehung eine wichtige Rolle. Im Laufe der Zeit nimmt bei vielen Menschen das sexuelle Begehren ab, das ist ganz normal. Im Französischen sagt man «faire l’amour», also Liebe machen, im Sinne von Liebe herstellen. Sexualität schafft Nähe und Liebe. Wenn die Sexualität erlischt, muss die Liebe nicht automatisch verblassen.
Das müssen Sie näher erläutern.
Im Alter wird die Sinnlichkeit anders erlebt als in jungen Jahren. Die Betrachtung von Kunst oder Naturerlebnisse kann ein ähnlich sinnliches Erlebnis bieten wie der Sex. Deshalb ist es ok, wenn Sie einen Museumsbesuch spannender finden, als mit dem Partner ins Bett zu gehen (lacht). Man kann auch ohne Sex ein glückliches Leben führen.
Und wenn der eine mehr Sex will als der andere?
Da hilft nur reden, zum Beispiel «Weisst du, für mich ist körperliche Liebe sehr wichtig, deshalb wünsche ich mir, dass wir öfters im Bett kuscheln.»
Wann ist die Liebe nicht mehr zu retten?
Wenn der Partner verstummt, bedeutet das oft das Aus.
Wie können Paare lernen miteinander zu reden?
Zum Beispiel mit dieser einfachen Übung: Einmal die Woche sich zusammensetzen, jeder darf 20 Minuten freisprechen, der andere hört nur zu: Was ist im Moment für mein Leben wichtig? Was bereitet mir Mühe? Was bedrückt mich? Was möchte ich geändert haben?
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Zu den AngebotenBietet eine Paartherapie einen Ausweg aus der verfahrenen Situation?
Ja, eine Paartherapie kann zur Klärung der Situation beitragen. Dabei geht es nicht darum einen Schuldigen zu suchen, sondern um zu lernen sich gegenseitig besser zu verstehen. Ziel ist es, den Partner wieder so zu respektieren und wertzuschätzen, wie er ist, mit all seinen Ecken und Kanten. Idealerweise sieht man ihn in einem anderen Licht. Verloren geglaubte Gefühle der Zuneigung sind wieder da. Das ist der Schlüssel für eine Partnerschaft, in der die Liebe sich nicht aus dem Staub macht.
Vielen Paaren dürfte es schwerfallen, sich im Alter zu ändern.
Es ist nie zu spät! Ich habe auch Siebzigjährige in meiner Paartherapie.
Wie kann ein Siebzigjähriger zu einer Paartherapie bewegt werden?
Offen, ehrlich und wahrhaft das Anliegen formulieren, ohne dem Partner ein schlechtes Gewissen zu machen. Einfach sagen: «Für mich ist es wichtig.»
Wenn man zur Erkenntnis gelangt, eine Trennung wäre für beide das Beste, kann die Angst vor dem Alleinsein so mächtig sein, dass sich trotzdem nichts verändert?
Um auf die Frage «Trennung ja oder nein» eine Antwort zu finden, kann der folgende Gedanke Klarheit bringen: Wenn ich am Morgen das Zwitschern der Vögel nicht mehr höre, wenn ich den Duft der Bäume an einem Sommerabend nicht mehr rieche, weil ich innerlich so verschlossen bin vom Ärger in der Partnerschaft, dann ist es Zeit zu gehen. Dann ist der Schmerz, in der Beziehung zu leiden, grösser als der Schmerz, allein in der Wohnung zu sitzen.
Die heutigen alten Menschen sind mit Weisheiten aufgewachsen wie «dem Frieden zuliebe schweigen», «Er hat es ja sonst schwer» oder «Jetzt reisse dich mal zusammen.» Wie kann man sich von solchen Glaubenssätzen verabschieden?
Indem man das Kommunikationsmuster hinterfragt, das man in der eigenen Familie erlebt hat. Früher hiess es oft «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.» Probleme wurden unter den Tisch gekehrt. Die Mutter litt still, statt sich gegen den autoritären Vater aufzulehnen. War diese Frau glücklich in ihrer Ehe? Kaum.
Und wenn man es als Frau einfach nicht schafft, sich von den Glaubenssätzen zu verabschieden?
Dann leidet die Frau weiterhin still vor sich hin. Das kann man nur bedauern. Aber es ist ihre Entscheidung. Da kann auch ein Therapeut nichts mehr ausrichten.
Das klingt bitter.
Eine Trennung hat weitreichende Konsequenzen. Eine solche Entscheidung muss reifen. Erst wenn sie reif ist, wie eine Frucht, die vom Baum fällt, dann ist der richtige Zeitpunkt gekommen für eine Veränderung. Wenn es nicht geht, dann geht es halt einfach nicht.
Sind Beziehungen, die im Alter ohne Probleme funktionieren, eigentlich die Ausnahme?
Nein, keineswegs. Es gibt viele Paare, die sind beste Freunde geworden. Sie unterstützen sich gegenseitig, sind sich wohlgesonnen und leben eine tiefe seelische Intimität.
Bei wie vielen Paaren ist eine Trennung auch nach einer Paartherapie unumgänglich?
Dazu gibt es unterschiedliche Statistiken, denen ich aber keinen Glauben schenke, ganz nach dem Motto «Vertraue nie einer Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.»
Bei wie vielen Paaren verhilft eine Therapie zu einem Neustart?
Auch dazu möchte ich keine Zahlen nennen. Nur so viel: Ich erlebe immer wieder Paare, die sich nach einer Krise zusammenfinden.
Wenn eine Trennung unvermeidbar ist, wie kann man im Alter einen zweiten Frühling erleben? Wie findet man einen neuen Partner?
Die Vorstellung, dass sich ein glückliches Leben nur mit einer Partnerin oder mit einem Partner führen lässt, ist falsch. Gerade im Alter erleben doch viele eine neue innere Freiheit. Sie haben die Möglichkeit zurückzublicken und können so das eigene Leben besser verstehen, um schliesslich mit sich ins Reine zu kommen. Das sind die wahren Glücksmomente.
Kann man dem Glück nicht etwas auf die Sprünge helfen, zum Beispiel mit einer Partnerbörse?Das vermeintliche Liebesglück ereilt einen oder eben nicht. Beim Gassi gehen oder wo auch immer, wenn man einem Menschen begegnet und es «klick» macht. Ein neues Glück auf einer Partnerbörse zu suchen, halte ich für problematisch, weil es falsche Hoffnungen weckt. Eine neue Partnerschaft kann man nicht erzwingen. Die Liebe findet man oft dort, wo man sie nicht erwartet. Meine Mutter zum Beispiel verliebte sich im Altersheim. Der Wunsch, einen neuen Partner zu finden, kann blind machen, und man verpasst etwas, was noch grösser ist als eine Partnerschaft.
Eine tiefe Freundschaft?
Genau. Es muss kein neues Liebesverhältnis sein, damit wir uns wertgeschätzt fühlen. Auch von Haustieren bekommen wir viel Zuwendung. Eine Freundin von mir leidet darunter, dass sie den Hund nicht mit ins Pflegeheim mitnehmen konnte. Ihr Hund sei «der einzige Mensch» gewesen, von dem sie sich verstanden fühlte (lacht).
Ist der Hund der bessere Partner im Alter?
Das ist jetzt überspitzt formuliert. Als Alleinstehende ist es aber in jedem Fall besser, sich eine Katze oder einen Hund anzuschaffen, statt jahrelang allein zu bleiben und dabei zu verbittern.
Online-Ringlesungen rund um das Thema Altern
Julia Onken organisiert in ihrem Denkforum regelmässig Online-Ringlesungen. Anmelden kann man sich unter [email protected].