Die Griechen liegen punkto Länderindex der Digitalisierung weit vor der Schweiz. Im letzten und in diesem Jahr sind wir zufällig von der griechischen 5-Sterne-Hotellerie geprägt worden. Letztes Jahr waren wir in einem Hotel einer international stark wachsenden griechischen Gruppe in Andalusien, dieses Jahr im wunderbaren Rhodos. Was die digitale Reiseindustrie so alles mit einem macht - einige Erlebnisse und Gedanken dazu.
Kaum hatte meine Partnerin in diesem Frühling die Ferien gebucht, erreichten mich sowohl über LinkedIn als auch über Facebook permanent Social Media Posts unserer Feriendestination. Vorfreude konnte entstehen.
Dies geschah sowohl in diesem wie auch im letzten Jahr. Die im letzten Jahr besuchte Hotelgruppe bleibt mir in regelmässigen Abständen auch heute noch in den sozialen Medien erhalten. Offensichtlich bin ich deren Zielgruppe - oder - sie betreiben ein teures und wahlloses System des Paid Contents oder Paid Marketings.
In diesem Jahr haben wir wie immer die Abflugzeiten optimal für uns gewählt. Uns stinkt es, morgens um 5 Uhr am Flughafen zu sein und um diese Zeit von den Ferien zu schwärmen…
Abflugzeit um 13:50 Uhr, Ankunft mit einer Stunde Zeitverschiebung um 18 Uhr – danach privater Transfer, um schnell vom Flughafen wegzukommen und das Ferienziel rasch zu erreichen. Dauer der Überfahrt, ca. 1 Stunde. Hat alles hervorragend geklappt und um ca. 19:00 Uhr standen wir bereits in der Lobby unseres Hotels.
Alles perfekt - am Desk noch kurz den Pass und die Kreditkarte zeigen und dann ab in unser Zimmer. Denkste – an der Rezeption grüsste uns eine Angestellte und dirigierte uns aufs Sofa. Unser Einwand, wir würden uns im Hotel über die Zeit schon zurechtfinden und wir bräuchten keinen dieser Welcome Drinks, zielte ins Leere. Minuten später standen zwei Drinks auf dem Tisch und die junge Hotelmitarbeiterin kam strahlend zurück.
«Wir können nun zusammen einchecken», verkündete sie mit offensichtlicher Freude. «Zuerst stellen wir gemeinsam eine WLAN-Verbindung her…Oh, ich muss mir nur kurz ihr Passwort am Desk beschaffen.» Zurück mit dem starken Passwort, machten wir uns an die Übungsanlage: WLAN-Verbindung hat nach drei Versuchen geklappt.
Danach App des Hotels runterladen. Reservationen zum Essen und andere Buchungen konnten laut der Empfangsdame alle spielend nur noch über diese App vorgenommen werden (dazu unten mehr). Ebenfalls checkten wir mit der App gleich selber ein mit unserer Pass-, Buchungsnummer und so weiter.
Ich dachte, dass sie wenigstens die bereits bestehenden Angaben übernehmen würden. Aber leider geht das noch nicht. Nach drei Fehlversuchen gab ich der netten Frau genervt das Handy und bat sie, das Einchecken zu vollziehen. Sie brauchte dann selbst noch drei Versuche und wir waren (endlich) eingecheckt. Welch grossartige Kundenfreundlichkeit zum Ferienbeginn.
Mittlerweile waren wir echt hungrig und unsere Empfangsdame wollte mit uns gleich eine erste Erfahrung mit der App vornehmen: Buchung eines der Restaurants, um 30 Minuten später essen zu können. Als sie enttäuscht feststellen musste, dass ich darauf nur wenig Lust verspürte, nahm sie (ausnahmsweise!) die Reservation am Desk der Rezeption selbst vor…
Die Welcome Drinks waren mittlerweile geleert und vermeintlich war endlich alles geschafft! So war es nun aber doch nicht ganz… «Leider müssen wir physisch Kreditkarte und Pass überprüfen, das ist eine Auflage», so die Empfangsdame. Dafür müssten wir nur noch kurz (…) bei ihrer Kollegin an der Rezeption anstehen.
Um gut 20:15 Uhr erreichten wir das Ziel unserer Träume. Umziehen und dann mit knurrenden Bäuchen ab zum Nachtessen. Leider hatte es in unserem Zimmer ein Geräusch, das wie das Summen einer Hochspannungsleitung tönte. Wir konnten das weder lokalisieren noch selbst aus der Welt schaffen.
Klar, das mussten wir vor dem Nachtessen melden, ansonsten gäbe es wohl kaum Schlaf in der ersten Nacht. Der Versuch des telefonischen Kontakts mit der Service-Nummer schlug fehl, um 20 Uhr laufe alles über die Rezeption. Der umgehend ankommende Service-Spezialist, konnte nur feststellen, dass das Geräusch in der Tat unerträglich und erst recht in der Nacht unzumutbar sei. Es schien, als hätte er das schon lange vorher gewusst…
«Wir sollen doch nun entspannt zum Essen gehen», meinte er. Er würde das an der Rezeption melden und wir hätten für die erste Nacht dann bestimmt eine andere Schlafgelegenheit. Gesagt - getan.
Nach dem Nachtessen begaben wir uns zur Rezeption und wünschten uns ein ruhiges Zimmer, um schlafen zu können. Die Chef-Rezeptionistin überreichte uns eine nigelnagelneue Packung mit exklusiven Ohropax, gepaart mit zahlreichen Entschuldigungen und besten Wünschen für eine gute Nacht! Es täte ihr leid, aber sie könne das digitale Buchungssystem wirklich nicht übersteuern. Da haute es uns sprichwörtlich den Nuggi raus: Meine Partnerin verliess augenblicklich die Rezeption und ich begann mich in mühsame Diskussionen zu verstricken.
Die gute Fee des Hauses erklärt mir, dass bei diesem Buchungssystem wirklich nichts zu machen sei. Ich entgegnete ihr, dass sie doch wohl feststellen könne, wo es ein unbelegtes Zimmer gebe. Dies dauerte dann mehr als 30 Minuten und musste durch den Assistenten vor Ort überprüft werden. Und tatsächlich fand sie dann doch noch ein nicht belegtes Zimmer. (War wohl eines, das Mängel hatte und vom digitalen Buchungssystem ausgeschlossen wurde). Gegen 24 Uhr zogen wir mit dem Nötigsten und mit Hoffnung auf Schlaf um…
Leider könne man am nächsten Tag erst um elf Uhr feststellen, ob es eine Lösung für unsere restlichen 9 Ferientage gäbe, teilte man mir Spätabends mit. Mittlerweile war allen klar, dass dies unmöglich unser erster Raum sein konnte, und wir bekamen ein schönes neues Zimmer.
Denn schon bei unserem Eintritt war wohl allen bewusst, dass unser erstes Zimmer offensichtlich schon länger mit den nicht behebbaren Mängeln versehen war. In den restlichen Ferientagen schlichen wir daran vorbei und beobachteten, ob es wieder eine automatische Zuteilung ergeben hatte. Dies war dann nicht mehr der Fall….
Interessant ist, dass einmal eingecheckt, das Eintauschen von Strand-Badetücher dann via Voucher im Hotel erfolgen musste. Da musste man die benutzten Badetücher abgeben und kriegte gegen Vorweisen des Gutscheines neue. Das war jeweils zwischen 9 und 18 Uhr möglich. Betrieben wurde dieser «Dienst» von zwei Angestellten.
Auch im Vorjahr waren Einchecken und danach sämtliche Reservationen nur über das hoteleigene App möglich. Dies hat dazu geführt, dass wir für unsere Reservationen in den sechs internationalen Restaurants (!) immer erst nach 21 Uhr einen Platz fanden. Alle vorherigen Termine waren bereits ausgebucht. Unsere mehrmaligen Interventionen haben damals immerhin zu einer Einladung zu einem Drink mit dem Hotelmanager geführt.
Die Erkenntnis war folgende: Familien mit Kindern haben gleich zu Beginn der Ferien sämtliche Restaurants auch über mehrere Zeitfenster hinweg reserviert. Schliesslich wisse man ja nicht, ob die Kinder zu einer fest vorgeschriebenen Zeit in «Mood» fürs Essen seien.
Das Hotel musste dies aufgrund des Drucks der Familien mit Kindern akzeptieren. Den kinderlosen Erwachsenen wurden dann nur noch Zeitfenster für nach 20:30 Uhr zugestanden. Der Hotelmanager meinte, sie nähmen das Problem sehr ernst, wüssten aber noch nicht, wie lösen. Auf alle Fälle sei er froh, wenn wir nichts machten. (Ich hatte damals beabsichtigt, einen Brief an das Group Management zu schreiben. Dies liessen wir nach dem zweiten Drink an der VIP Only Bar dann sein.)
Eine der grossen Errungenschaften der hoteleigenen Apps seien die permanente Interaktion mit gutem Inhalt, so der Tenor in beiden Hotels. Meine Feststellung dazu: Es werden irgendwelche «gratis» Aqua-Trainings um 7 Uhr morgens angeboten.
Daneben werden aber in viel stärkerem Masse bezahlbare Dienstleistungen offeriert: «Gerade ist noch ein Zeitfenster für eine Massage mit einem Rabatt von 10% verfügbar…». Der allgemeine Content geht nicht über die gedruckten und immer gleichen «Morgenessen-Informationen (Wetter- Menü)» hinaus.
Offensichtlich gehören die Schweizer Babyboomer zu einer bevorzugten Zielgruppe für die griechische Reiseindustrie. Es scheint sich zu lohnen, diese mit Social Media Marketing (SEA) zu berieseln.
Die grossen Vorteile von hoteleigenen Apps liegen aktuell wohl nicht in zusätzlichen Services für die Gäste. Vielmehr geht es um die Auslagerung von Dienstleistungen an die Kunden (Self-Checkin, Reservationen), die bessere Optimierung und Planbarkeit der eigenen Aufgaben, die bessere Auslastung der hoteleigenen Restaurants und das Anpreisen von zusätzlichen und vor allem zu bezahlenden Angeboten.
Kundenfreundlich ist was anderes. Und: Es kann wohl kaum das Ziel der 5-Sterne-Hotels sein, dass man zu Beginn sämtliche Termine für die Essen buchen muss und dann mit dem Slogan «geniessen Sie wenigstens die Ferientage ohne jegliche Agenda-Verpflichtungen» wirbt. Da darf man wahrlich gespannt auf die weiteren Digitalisierungsschritte der Industrie sein.
In diesen Ferien verwendeten wir genau einmal die App - nämlich bei der besagten Ankunft. Auf das Essen in den Hotelrestaurants verzichteten wir. Wir liessen uns da lieber treiben und mussten nicht pünktlich im Restaurant erscheinen. Das Essen war ausserhalb des App-Gebietes eher günstiger als im Hotel und die Taxis zahlten wir gerne.
Immerhin gab es während den Fahrten und im Gespräch mit den lokalen Kellnern immer auch einen persönlichen Austausch. Wie hiess es doch früher gleich? Reisen bildet oder andere Länder andere Sitten. Das scheint zumindest für die sehr gut besuchten griechischen Hotels nicht mehr zutreffend zu sein.
Ein Ferienfoto von Otto Bitterli, das Reiselust weckt.
Otto Bitterli hat sich ein Berufsleben lang an der Schnittstelle zwischen Privat- und Sozialversicherung bewegt. Er kommt ursprünglich von der Privatversicherungsseite (Winterthur) und hat dann bei der Krankenversicherung Sanitas als Geschäftsleitungsmitglied, als CEO und 1 Jahr als Verwaltungsratspräsident (VRP) gearbeitet. Aktuell ist er Berater und in mehreren VR und Boards tätig, unter anderem als VRP der Helvetic Care.
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