Beobachtungen eines Self-Trackers: Darum überwache ich mich rund um die Uhr

Sie misst meine Schritte, meinen Schlaf oder meine Herzraten: Mein Fitnessarmband begleitet mich rund um die Uhr. Fördere ich mit dieser Selbstvermessung die gesellschaftliche Überwachung oder den medizinischen Fortschritt? Eine Analyse des Self-Trackers Carsten Niebergall.

Beobachtungen eines Self-Trackers: Darum überwache ich mich rund um die Uhr
Unknow

Vor drei Jahren habe ich mir eine Fitness- oder auch Self-Tracking-Uhr angeschafft. Diese misst Vitaldaten und sportlichen Aktivitäten – sei es Jogging, Wandern, Mountainbiken, Krafttraining oder Tischtennis. Es gab natürlich auch einen gewissen Gruppendruck, denn alle meine Kollegen besitzen diese kleinen Wundergeräte oder auch Wearables genannt mit integrierten Sensoren an ihren Handgelenken, sodass nun fleissig getrackt, verglichen und sich in einer Community über den aktuellen Fitnessstand ausgetauscht werden kann.

Meine Uhr fordert mich auch unmissverständlich auf mit einer Ermahnung «beweg dich», «baue deine Kraft auf» oder «arbeite an deiner Stabilität». Um gesundheitliche Schäden zu vermeiden, ermahnt sie mich mit dem erhobenen Zeigefinger «Achtung Überforderung», damit ich einen Gang zurückschalten kann.

Christiane Brockes

Die Uhr begleitet mich auch nachts

Auch die Schlafdaten und die Schlafqualität mit den REM-Phasen, Leichtschlaf, Tiefschlaf oder Anzahl Umdrehungen in der Nacht können gemessen und ausgewertet werden. Eines Tages fragte mich meine Uhr vorwurfsvoll: «Warum liegen keine Schlafdaten vor?» Ich hatte sie einfach vergessen, nach dem Duschen anzulegen und bin danach allein ins Bett gegangen. Sorry, das passiert mir nie wieder.

Ich kann auch persönliche Langzeitstudien über mein Aktivitäts- und Bewegungsverhalten in den letzten Wochen, Monaten und sogar Jahren erstellen – spannend zu sehen, dass ich vor allem im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 meine Aktivitäten doch ziemlich heruntergefahren habe. Das hat sich in diesem Frühjahr und Sommer aber deutlich verbessert.

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Ich gebe freiwillig meine Gesundheitsdaten weiter

Als Träger meiner Fitnessuhr gehöre ich nun auch zur sogenannten «Quantfied-Self-Bewegung». In einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wurde dies wie folgt definiert: «Quantified Self ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Person sich aktiv mit Geräten und Applikationen misst, um aufgrund der Analyseresultate Wissen zu generieren, das dazu beiträgt, ihren Lebensstil und ihr Verhalten in den Bereichen Fitness, Wellness oder Gesundheit zu optimieren

Zum Teil geht es noch weiter: In den meisten Fitness-Apps, auch die von den Krankenversicherungen, gebe ich mehr oder weniger freiwillig meine Gesundheitsdaten meines Körpers an Google und die Healthcare-Industrie weiter.

In der TA-SWISS- Studie der ZHAW (2018) wurden fünf sogenannte Selbstvermessungstypen angenommen:

1.Private Self-Tracking: freiwillig aus persönlichen Gründen

2.Communal Self-Tracking: freiwilliges Teilen persönlicher Daten

3.Pushed Self-tracking: nicht durch eigenen Antrieb, sondern wird angeregt

4.Imposed Self-Tracking: von Dritten gefordert oder erzwungen

5.Exploited Self-Tracking: Zweckentfremdung der vermessenen Daten

(Lupton, 2014)

Ich bewege mich durch das Tracking mehr

Ich würde mich gemäss dieser Studie irgendwo zwischen den Punkten 1 und 3 einordnen, wobei ich doch einen gewissen gesellschaftlichen Druck nicht ausschliessen möchte. Schliesslich gehört es heute doch zum guten Ton sich zu tracken oder frei nach Descartes: Ich tracke, also bin ich!

Seitdem ich mich tracke, ist mein Interesse an meiner eigenen Gesundheit gestiegen und an meinem Fitness-Level. Ich bewege mich mehr, wobei ich mich nicht zur Kategorie der Selbstoptimierer zählen würde, die ihren eigenen Körper zum Objekt der permanenten Verbesserung machen nach dem Motto: fit in die Kiste. Ich verlasse mich auch noch auf mein eigenes Körpergefühl.

Über den Carsten Niebergall

Carsten Niebergall – ein typischer Babyboomer - besitzt sehr schöne klassische Uhren, die aber seit einigen Jahren schön verpackt und gepflegt ihr Dasein in einer Schublade fristen. Dafür trägt er seine Fitnessuhr die ganze Zeit. Niebergall ist Gerontologe und arbeitet bei unserem Partner alcare. Er ist seit vielen Jahren in der Altersarbeit mit vertiefter Expertise in stationären und ambulanten Projekten im Gesundheitswesen tätig. In der digitalen Gesundheitsversorgung ist sein Schwerpunkt der nutzbringende Einsatz neuer Technologien.

Kritik am Tracking

Kritische Geister aus der Soziologie und Sozialanthropologie sehen in dieser Fixierung auf objektivierbare Gesundheitsdaten eine schleichende gesellschaftliche Überwachung durch systematische Selbstvermessung bzw. Bio-Hacking mittels permanenter Selbstoptimierung.

Michel Foucaults Analyse der Bio-Macht bzw. Bio-Politik könnte hier greifen, um diese Prozesse besser zu verstehen. Es braucht keine staatlichen Gesundheitskampagnen mehr, weil das Individuum die Gesundheitsnormen schon in seinem Körper eingeschrieben oder noch besser einverleibt hat.

Tracking ist sinnvoll, ersetzt aber den Arzt nicht

Damit begibt sich der Konzern in einen medizinischen Graubereich und die Datenlage mit 700 teilnehmenden Personen in einer Vergleichsstudie ist eher dünn.

So gelingt das medizinische Tracking

Wenn schon sich medizinisch und effektiv tracken wollen, dann rate ich zu einem professionellen Tele-Monitoring begleitet von gut ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten der Telemedizin mit folgenden Parametern:

Ich war eine Woche lang Testperson

Ich habe es vor kurzem selbst ausprobiert und war im Rahmen einer Machbarkeitsstudie Testperson. Während einer Woche habe ich mich einer kontinuierlichen 24/h-Messung mittels eines CE-zerfizierten pervasiven Körpersensors (Vitalpatch) unterzogen, der meine Herzraten und EKG-Ableitung permanent via Bluetooth an ein Smartphone gesendet hat. Die Daten wurden dann an eine medizinische Zentrale übermittelt, die eine 24-Stunden-Überwachung sicherstellen kann. Auch bei Netzunterbrüchen bis zu 6 Stunden werden die Daten noch sicher an die Zentrale gesendet. Kritische Ereignisse wie Sturz oder auch das Überschreiten der definierten Grenzwerte werden an die Teleärzte sofort gemeldet.

Die Blutdruckmessung ist noch nicht via Sensorik möglich, sondern erfordert immer noch ein aktives Messen via Oberarmanschette. Wobei die Daten auch drahtlos an die Zentrale gesendet und kritische Werte sofort gemeldet werden.

Mit diesen Geräten wurden meine Vitaldaten für eine Woche lang gemessen.

Dazu trug ich diesen Körpersensor.

Die Blutdruckmessung ist noch nicht via Sensorik möglich, sondern erfordert immer noch ein aktives Messen via Oberarmanschette.

Die Daten wurden dann an eine medizinische Zentrale übermittelt, die eine 24-Stunden-Überwachung sicherstellen kann.

Ein gutes Gefühl von Profis überwacht zu werden

Mein erstes Fazit ist: Ein gutes Gefühl von Profis überwacht zu werden, auch in der Nacht. Die Erstinstallation daheim erfordert aber doch sehr gute digitale Kompetenzen. Es sollte auch immer von einer Fachperson begleitet werden, bei hochbetagten Personen könnte dies die Spitex übernehmen.

Noch brauche ich für ein exaktes Telemonitoring mit Datenübertragung in Echtzeit medizinisch zertifizierte Geräte und ganz ohne Kabel geht es zurzeit nicht – auch wenn Apple&Co es in schicken Video-Clips es hipper und schicker aussehen lassen mit der Armbanduhr-Messung.

Für eine Woche hatte ich mein Spital daheim

Eine interessante Erfahrung war es für mich allemal: Ich hatte für eine Woche mein kleines Spital daheim – ein Hospital@Home nur für mich. Ich konnte es natürlich nicht lassen, diese medizinisch zertifizierten Geräte und Körpersensoren mit meinen bisherigen privaten Messdaten mittels Fitnessuhr zu vergleichen. Es war lehrreich zu sehen, dass eine Blutdruckoberarm-Messung doch exakter ist im Vergleich mit meinem privaten Messgerät und auch etwas ernüchternd.

Spitäler zeigen sich interessiert an diesen neuen Entwicklungen. Es können dadurch die Liegetage verkürzt werden, Kosten reduziert und der Patient kann früher nach Hause in seine gewohnte Umgebung. Das verbessert seine Lebensqualität, wobei er aber gut überwacht durch Teleärzte immer noch Patient vom Spital bleibt: Hospital@Home eben.

Dieser Artikel wurde durch unsere Partnerin alcare beigetragen