«Ernsthaft Gedanken über das Altwerden machen sich viele ab dem 50. Geburtstag mit den ersten körperlichen Rückschritten. Ein paar Jahre später beginnen sie sich zu überlegen, wie viel Geld sie aus der AHV oder der Pensionskasse erhalten. Und dieses Geld reicht längst nicht bei allen. Insbesondere bei Frauen ist Altersarmut oft ein Thema. Denn sie arbeiten häufig in schlechtbezahlten Jobs, Teilzeit oder gar unentgeltlich. Ende 50 stellen sie dann fest, wie es um ihre Rente steht.
Genau für diese Menschen brauchen wir ein gutes Sozialversichrungssystem. AHV und Pension müssten für gewisse Gruppen aufgestockt werden, etwa für Geringverdienende oder Leute, die jahrelang unbezahlte Care-Arbeit geleistet haben. Für viele von ihnen sind die Ergänzungsleistungen nicht nur ein Rechtsanspruch, sondern auch ein Segen.
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Es ist deprimierend, wenn man mit Mitte 50 nur Absagen erhält
Natürlich kann man einer Frau mit Ende 50 sagen, dass sie mehr und besser bezahlte Arbeit suchen soll, um ihre Pension aufzubessern. Nur ist das auf dem heutigen Arbeitsmarkt realitätsfremd.
Als ich 2018 mit Mitte 50 aus dem Zürcher Stadtrat zurücktrat, erlebte ich selber, wie deprimierend es ist, wenn man auf seine Bewerbungen nur standardisierte Absagen erhält. Ich habe aber das grosse Glück, dass ich nun für ein Projekt arbeite, das mir Freude bereitet und dass meine Altersvorsorge gesichert ist.
Über Claudia Nielsen
Die Ökonomin und SP-Politikerin Claudia Nielsen (Jg. 62) war von 2010 bis 2018 im Zürcher Stadtrat. Als Vorsteherin des Sozial- und Umweltdepartements war sie für die Stadtspitäler, Pflegezentren, Alterszentren und Alterswohnungen zuständig. Seit 2019 ist sie wieder Inhaberin des Büros für Schnittstellen zwischen Politik und Wirtschaft.
Netzwerk ist wichtig für ein selbstbestimmtes Alter
Ebenfalls lebe ich im Zürcher Kreis 4 in einer günstigen Wohnung einer Hausgemeinschaft. In der Waschküche treffen wir uns oft auf einen Schwatz und wir schauen zueinander. So unterstützte mich die Nachbarschaft vor Jahren nach einem Velounfall und während des Shutdowns erledigte ich für mehrere Haushalte Einkäufe.
Genau diese Einbettung in eine Gemeinschaft ist neben der finanziellen Sicherheit wichtig für ein selbstbestimmtes und glückliches Alter. Es ist also ratsam, sich frühzeitig um ein soziales Netzwerk zu kümmern. So kann man von unkomplizierter Hilfe profitieren, wenn man sie einmal braucht. Umgekehrt tut es gut, anderen zu helfen.
Man sollte sich von der Digitalisierung nicht verschliessen
Wer im Alter selbstbestimmt leben möchte, sollte sich vor der technischen Entwicklung nicht verschliessen. Denn unsere Welt wird immer digitaler. Bereits heute ist man von anderen abhängig, wenn man nicht weiss, wie man online ein Billet kauft oder eine Banküberweisung macht. Ausserdem ist das Internet eine wichtige Kommunikationsplattform und es macht einfach Spass, in dieser Welt etwas Neues auszuprobieren.
Ich werde bald 60 und habe mich noch nie so gesund gefühlt wie jetzt. Mir ist aber auch bewusst, dass ich irgendwann Hilfe brauchen könnte. Es ist sicher eine grosse Herausforderung, diese Abhängigkeit zu akzeptieren. Ob man nun in einer solchen Situation zu Hause oder in einer Institution leben möchte, ist sehr individuell.
Alters- und Pflegeheime gehen mehr mit der Zeit, als man denkt
Es muss nicht unbedingt das Ziel sein, bis ans Lebensende daheim zu leben. Alters- und Pflegeheime gehen mehr mit der Zeit, als man denkt. Längst wird nicht mehr um Punkt acht Uhr morgens für alle Bewohnerinnen und Bewohner Filterkaffee serviert. Als Vorsteherin des Gesundheitsdepartements erlebte ich es, wie die Institutionen auf die individuellen Bedürfnisse eingehen. Viele alte Menschen fühlten sich wohl und bereuten es fast, dass sie diesen Schritt nicht früher gewagt hatten. Denn in diesen Institutionen profitieren sie von fachkundiger Pflege, von einer guten Infrastruktur und von Gemeinschaft.
Doch auch in diesem Bereich ist Verbesserungspotential da. Das Pflegepersonal arbeitet leider oft unter grossem Zeitdruck und wird nicht angemessen entlöhnt. Die Corona-Pandemie zeigte doch, wie wichtig diese Berufe für die Gesellschaft sind. Höchste Zeit also, dass die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessert werden. Dann hätte man auch weniger mit Personalnotstand zu kämpfen.»
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