In seiner Jugend war es Konstantin von Schulthess fast etwas peinlich, ein Zünfter zu sein – jedenfalls hängte er es in der Schule nicht an die grosse Glocke. «Zürcher Zünfte waren den jungen Leuten zu bürgerlich – in den frühen 90ern hatte man da andere politische Einstellungen.»
Über 30 Jahre sind seither vergangen. Längst ist Konstantin von Schulthess stolz auf sein Engament bei der Zunft zur Meisen. Er sitzt in seinem Büro, als wir uns zum Videointerview treffen. Der 49-Jährige hat ein offenes Wesen und man hört ihm gerne zu, wenn er die Geschichte der Zürcher Zünfte im Schnellzugtempo durchgeht.
Diese wurden bereits im 14. Jahrhundert als Handwerksvereinigung gegründet und deren Vertreter politisierten über viele Jahre in der Zürcher Regierung. Mit der Französischen Revolution verloren jedoch die Zünfte ihre politischen Rechte und besannen sich fortan auf ihre Traditionen.
Dazu gehörten Umzüge, aus denen sich im Laufe des 19. Jahrhunderts das Zürcher Sechseläuten entwickelte. Seit den 1890er-Jahren gehört das Frühlingsfest zur fixen Tradition der Limmatstadt – inklusive Böög-Verbrennung um Punkt 18 Uhr und Umzug der Zünfter am Nachmittag.
Die Vorfahren von Konstantin von Schulthess waren schon seit Generationen in verschiedenen Zünften aktiv. Und so gehörte auch das Sechseläuten zu seiner Kindheit. Schon als kleiner Bub marschierte er beim Umzug in traditioneller Robe mit, mit 15 schenkte er bei den Veranstaltungen der Zunft zur Meisen Wein aus – in der grössten der 26 Zürcher Zünfte war bereits sein Urgrossvater dabei.
«Ohne familiäre Verbindung ist es auch schwierig, Mitglied in unserer Zunft zu werden», so der gebürtige Stadtzürcher, der heute in Zollikon ZH wohnt. Dies habe nicht nur traditionelle, sondern auch praktische Gründe: «Im Zunfthaus zur Meisen ist der Platz und daher auch unsere Mitgliederzahl auf 250 beschränkt.»
Hier nochmals die Zunftuniform in voller Länge.
Inklusive Sechseläuten treffen sich die Zünfter nur siebenmal pro Jahr – meistens zum Essen in ihrem Zunfthaus am Münsterhof. Trotzdem hat von Schulthess als Zunftmeister, zu dem er vor einem Jahr gewählt wurde, viel Arbeit. Gerade in der Zeit vor dem Sechseläuten nimmt ihn das Amt etwa fünf bis sechs Stunden pro Woche in Anspruch. Ein guter Ausgleich zu seiner Arbeit als Finanzchef einer Biotechfirma, die Immuntherapien gegen Krebs entwickelt.
Am meisten Zeit benötigt er zum Schreiben seiner Reden, die ein wesentlicher Bestandteil der Treffen sind. «Da muss man schon eine Weile recherchieren, damit etwas Gehaltvolles rauskommt», sagt er. Und auch eine Portion Frechheit und Humor ist nötig – insbesondere, wenn er als Gastredner bei anderen Zürcher Zünften eingeladen ist: «Da nimmt man sich gerne auf die Schippe, aber es darf nicht bösartig sein.»
Auch seine Zunft sorgte im vergangenen Jahr für Gesprächsstoff. Denn zum ersten Mal durften Töchter der Meisen-Zünfter am Umzug mitlaufen, zuvor konnten Frauen nur als Ehrengäste oder Blumenmädchen daran teilnehmen. Auch sind neu Frauen bei den Veranstaltungen der Meisen-Zunft dabei – ein Novum unter den Zürcher Zünften, die über Jahre fest in Männerhand waren.
Während die Zunft zur Meisen mit dieser Änderung ein grosses Medienecho auslöste, war diese unter den Zünftern selbst kein Streitthema. «Wir haben lediglich abgestimmt, ob unsere Töchter an unseren Anlässen teilnehmen dürfen – dann war der Fall klar.» So lag bei den Veranstaltungen der Frauenanteil bei jeweils zehn Prozent: «Die Stimmung war aber wie immer.»
Und diese Anlässe verbinden die Generationen: von 18 bis 95 Jahre – sämtliche Altersgruppen sind gemäss von Schulthess vertreten, insbesondere bei den Jungen ist das Interesse seit der Corona-Pandemie gross. «Vielleicht haben die Menschen einfach wieder mehr Lust auf Begegnungen und gute Gespräche – das politische Coleur spielt im Gegensatz zu meiner Jugend eine untergeordnete Rolle.»
So sei es auch für seine 16- und 18-jährigen Töchter eine Selbstverständlichkeit, am Zunftleben mitzuwirken. «Jedenfalls verheimlichen sie es nicht vor ihren Freunden, so wie ich damals», erzählt er lachend. So freue sich die ganze Familie auf das Sechseläuten: «Es ist einfach ein schönes Fest für die Bevölkerung.»
Dieses Jahr findet das Sechseläuten am 15. April statt. Als Zünfter hat für Konstantin von Schulthess dieser Montag immer den gleichen zeitlichen Ablauf: Um elf Uhr wird im Zunfthaus gegessen – inklusive obligate Reden des Zunftmeisters und der Ehrengäste aus Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Dann folgt der Umzug durch Zürich mit Pferden und Musik. Von Schulthess trägt jeweils die traditionelle Robe seiner Zunft – die wadenlange Hose und die Bluse mit den Rüschen erinnert an längst vergangene Zeiten.
Nachdem der Kopf des Bööggs explodiert ist, folgt das abendliche Bankett im Zunfthaus. «Danach ziehen wir aus und laufen mit Musik und Laternen durch die Gassen», erzählt von Schulthess. In anderen Zunfthäusern endet der Spaziergang mit erneuten «Wortgefechten» vor Publikum: «Bei diesen Besuchen nehmen wir die andere Zunft auf die Schippe – natürlich muss diese auch eine gute Antwort parat haben.»
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