Aktuell haben wir auf der einen Seite Diskussionen, die im Zusammenhang mit dem «Aufbrechen der Familie» stehen. Es kommen Generationen in Richtung Pensionierung, die nicht von Beginn ihres Arbeitslebens die «eigene Verantwortung» übernommen, sondern diese indirekt auf die «Familie» übertragen haben.
Wenn sie nun im Rentnerdasein landen, dann häufig mit weniger Mitteln. Gründe dafür sind Teilzeitjobs, Ausgaben für familiäre Verpflichtungen oder Scheidung, Wohneigentumsförderung…
Der gesellschaftliche Druck, dass diese Menschen trotzdem und automatisch von der Altersvorsorge profitieren sollen, steigt. Dies drückt sich insbesondere bei der «Gefahr der Altersarmut der Frauen» aus. Die Frage ist, welche Solidarität die Gesellschaft gegenüber dieser Population zu tragen gewillt ist und auf welche Weise diese finanziert und umgesetzt wird.
Zudem wachsen Generationen heran, die ihre Bedürfnisse im Hier und Jetzt definieren und sich die Gedanken in Bezug auf das Alter und deren Vorsorge wohl bisher nicht abschliessend gemacht haben. Diesen Generationen, wie mittlerweile wohl vielen Schweizerinnen und Schweizer, fehlen die Grundlagen und das Verständnis des aktuellen, ausgeklügelten und weit verästelten 3-Säulen-Systems.
Aber bereits die Generation der Babyboomer, die aktuell ins Rentenalter wächst, hat andere Vorstellungen als die Vorgängergeneration. Das Streben, möglichst viel des erarbeitenden Wohlstands innerhalb der Familie zu vererben (Stolz der Familie), weicht dem Verständnis, das aufzubrauchen, was man selbst erarbeitet hat. Dieses neue Verständnis wird die nächsten Generationen – unabhängig von den bestehenden Vorsorgewerken – treffen.
Irgendeinmal werden vollkommen neue Bedürfnisse auf das milliardenschwere und weitestgehend auf das Kollektiv ausgerichtete System der 3-Säulen-Altersvorsorge hereinbrechen. Doch wie könnten diese aussehen?
Die klassische Arbeitsleistung gegen Entgelt ist die Basis für den Wohlstand im Alter. Sowohl die AHV wie die Pensionskasse werden stark von den Arbeitnehmer:innen und den Arbeitgeber:innen getragen. Ein Umstand, welcher die Löhne in die Höhe steigen liess (lässt) und zu einer Verteuerung der von den Unternehmen produzierten Produkte und Dienstleistungen führt. Sozialer Wohlstand bedingt wirtschaftliche Prosperität (Wachstum).
Die Frage ist deshalb einerseits: Wie kann die schweizerische Wirtschaft in Zukunft und im Vergleich zur internationalen Konkurrenz, die mit immer höheren Sozialabgaben belasteten Produkte an den Märkten absetzen?
Die Frage ist anderseits: Wenn sich die Einstellung der Generationen gegenüber der Arbeit und der Familie verändert, wie ist damit bezüglich der Altersvorsorge umzugehen?
Ist ein individuelleres, heterogeneres und aktuell schwer lesbares Verständnis der nächsten Generationen im Anflug?
Unklar ist insbesondere, wie die nächsten Generationen ihr Verhältnis zur Arbeit, zur längerer Lebenserwartung, zum Wunsch nach Kindern und letztlich auch zum angestrebten sozialen Wohlstand definieren.
Das ist aktuell, wenn überhaupt, nur in Grundzügen erkennbar: Während früher die Arbeitsleistung Vorrang hatte, so scheint sich diese Leistung immer mehr dem Primat der persönlichen Präferenzen unterzuordnen. Und: Die persönlichen Präferenzen verändern sich über die verschiedenen Lebensphasen von Single, Partnerschaft, Familie, allfällige Scheidung, Familie mit erwachsenen Kindern bis hin zur Pensionierung massiv. Genau diese zunehmende Flexibilität trifft die auf die Langfristigkeit und Stabilität angelegte sowie letztlich starre Altersvorsorge besonders hart.
Meine persönlichen Beobachtungen in Bezug auf die Bedürfnisse der jüngeren Populationen ergeben ein sehr heterogenes Bild: Da ist zweifellos eine gewisse «anerzogene» Selbstverständlichkeit gegenüber dem bestehenden Wohlstand vorhanden. Da ist ein Grundverständnis nach vermehrter Individualität zu erkennen, welches sich in verschiedener Hinsicht, wie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder von Freizeit und Arbeit, ausdrückt.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang, ob sich das Verhältnis zum Thema Eigentum verändert. Da stelle ich in meinem Umfeld fest, dass noch keine spürbaren Veränderungen eingetreten sind: «Ich möchte schon mein eigenes Haus, meine eigene Wohnung und damit unabhängig sein». Ungebrochen hoch scheint im Weiteren der Anspruch auf individuelle Mobilität (Flug, Reisen, Auto).
Wie sich dies alles gegenüber dem Anspruch auf eine gute Vorsorge im Alter manifest machen wird?
Auch scheint das Streben nach schnellem Reichtum (für die ältere Generation: vom Tellerwäscher zum Millionär) nicht einfach verschwunden und der sozialen Gerechtigkeit sowie der ökologischen Verantwortung für den Planeten gewichen zu sein. Gerade in der Start-up-Szene sind viele jüngere Menschen einerseits bereit, mehr Risiken zu übernehmen und sich in die Selbstständigkeit zu begeben.
Dies, anderseits, verbunden mit der Hoffnung, dass das Start-up nicht nur an «Sinnhaftigkeit», sondern rasch auch an Wert gewinnen wird und sie morgen «reich» sein werden. Die Realität sieht oft anders aus: 9 von 10 Start-ups können sich nicht nachhaltig durchsetzen. Was sind die Folgen für die Altersvorsorge? Ist das ein Thema, mit dem sich die jungen Menschen individuell auseinandersetzen müssen oder soll einfach für alle im Alter kollektiv gesorgt werden? Falls Letzteres der Fall ist: Ab wann ist man alt und wer soll das dann alles bezahlen?
Gerne wird aktuell auch von Lebensarbeitszeit gesprochen. Die noch vor Kurzem täglich fest geschriebene Arbeitszeit wird durch Jahresarbeitszeit und wohl in ferner Zukunft durch Lebensarbeitszeit ersetzt. Was passiert morgen, wenn mir mit 55 die Kraft fehlt aber noch 15 Jahre zur Erfüllung meiner Lebensarbeitszeit bleiben? Was genau sind die Auswirkungen, die mit den Sozialversicherungen verbunden sind?
Nicht nur das Verständnis der nächsten Generation in Bezug auf die Lebens- und Arbeitsgestaltung ist zentral. Ebenso wichtig dürfte das künftige Verständnis der Arbeitgeber, der Unternehmen, sein. Wie wird sich das Angebot an Arbeit entwickeln? Wie verändert sich die Wirtschaft?
Können die Unternehmen in der Schweiz weiterhin verpflichtet werden, in gleichem Masse wie bisher Mitverantwortung für die Altersvorsorge zu tragen? An dieser Front vernimmt man seitens der Arbeitgeber aktuell wenig. Kein Wunder, wenn alle den Fachkräftemangel beklagen und für die Arbeitnehmer:innen den Teppich auslegen. Doch ist das morgen, sollte die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz weit grössere Gebiete der heutigen Arbeitstätigkeit erschlossen haben, auch noch so?
Just in dieser Gesellschaftslage stimmen wir am 3. März 24 über eine 13. AHV-Rente, über die Erhöhung des Rentenalters auf 66 und noch in diesem Jahr über eine neue Gesetzesvorlage zur beruflichen Vorsorge (BVG) ab.
Es erstaunt nicht, dass dabei die Emotionen – insbesondere zur 13. AHV-Rente – hochgehen. Die einen sprechen vom drohenden finanziellen Ruin der AHV, von überbordendem Kollektivismus und einer sinnlosen Verteilung von nicht vorhandenen Mittel mit der Giesskanne. Die anderen sehen darin eine Selbstverständlichkeit und strapazieren das Bild mit der Giesskanne damit, dass auch Blumenbeete mit der Giesskanne gewässert werden müssen…
Die schweizerische Politik hat diese Diskussion ausgelöst: Die Mehrheit der Parlamentarier:innen hat eine Verbesserung der Altersvorsorge über die stärker auf das Individuum (bzw. dessen effektive Arbeitsleistung) ausgerichtete berufliche Vorsorge beschlossen. Dies entgegen den Forderungen der politisch unterlegenen Kreise, die auf eine Verbesserung der AHV gepocht haben. Damit wird die 13. AHV-Rente letztlich zu einem Prüfstein in der Auseinandersetzung zwischen individueller und kollektiver Verantwortung in Zukunft.
Man kann natürlich stets argumentieren, dass der Zeitpunkt für derartige Abstimmungen noch nicht reif sei, da man in der gesellschaftspolitischen Diskussion noch weit hinterher hinke. Wie dem auch immer sei, die Abstimmungen werden umso stärker emotional und mit rein politischer Propaganda stattfinden. Nur wenige werden in der Lage sein, sich ein eigenes und selbst gezimmertes Bild machen zu können. Die Entscheidungen werden auf Vertrauen in die Argumente von nahestehenden Personen, nahestehenden Parteien und auf deren Überzeugungsfähigkeit (Kommunikation) basieren.
Was zunehmend Sorgen bereiten müsste, ist die sich immer stärker spürbare Haltung jener Population, welche letztlich die AHV subventioniert. Es sind dies jene 10 Prozent der Bevölkerung, welche mehr an AHV einbezahlt haben, als dass sie je erhalten werden. Sie waren bislang «stramme» und stille Verfechter des 3-Säulen-Systems. Zu dieser Population gehören auch viele ausländische Arbeitskräfte in Top-Positionen in der Schweiz.
Erst kürzlich hat mir jemand aus dieser Bevölkerungsgruppe gesagt: «Ich habe genug von diesen Diskussionen und den damit verbundenen Anfeindungen (Ausländer, Topmanager). Ich würde ja zur 13. AHV-Rente stimmen, wenn ich denn Schweizer wäre. Damit wird man vielleicht noch rechtzeitig in einen Sanierungsmodus der AHV kommen und das scheint wohl der einzige Weg zu sein, welcher der Schweiz noch hilft…» Diese Aussage hat mich sehr nachdenklich gestimmt.
Die Reaktion zeigt aber auch, dass solche Abstimmungszeitpunkte nie falsch sind. Auf alle Fälle darf man gespannt darauf sein, was dieses Jahr an Resultaten zu unserer Altersvorsorge bringen wird. Es scheint alles möglich zu sein.
Und: Egal wie die Resultate ausfallen. Die politische Diskussion darüber bleibt uns auch in Zukunft erhalten und dürfte in der Tendenz (noch) härter geführt werden. Die jungen Menschen sind gefordert, ihre Perspektiven zu konkretisieren und neue und hoffentlich finanzierbare Wege aufzuzeigen. Viele ältere Menschen – insbesondere diejenigen, die sie nicht nötig hätten – werden die 13. AHV-Rente als «Geschenk des Himmels» betrachten.
Ich werde die 13. AHV-Rente ablehnen, weil sie unser System zusätzlich belastet, bevor neue Perspektiven bestehen. Auf diese Perspektiven bin ich gespannt!
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Altersvorsorge