«Essen ist der Sex im Alter», heisst es oft scherzhaft. Ist da was dran?
Nein, Essen ist doch kein Ersatz für Sex!
Und wenn im Bett nichts mehr läuft? Wie kommt man dann noch zur Genussbefriedigung?
Die Vorstellung, Essen sei eine Ersatzbefriedigung sexueller Bedürfnisse, stimmt für mich nicht. Für ein gutes und gesundes Leben braucht man doch beides, genussvolles Essen und lustvollen Sex.
Wie kann Sexualität im Alter ausgelebt werden?
Mit der Sexualität verhält es sich ähnlich wie mit anderen Dingen auch: Man kann sie lernen, so wie man zum Beispiel eine Sportart oder ein Instrument erlernen kann.
Ein lebenslanges Training führt zu gutem Sex im Alter?
Ja, denn auch hier gilt «Übung macht den Meister». Das ist einfacher gesagt als getan, zum Beispiel dann, wenn man keine Partnerin findet oder den langjährigen Partner verloren hat. Wenn man keinen Geschlechtsverkehr mehr hat, dann heisst das nicht, dass man sexuell nicht aktiv ist. Die Sexualität bleibt uns bis ins hohe Alter erhalten.
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Sexualität geht nicht verloren, sondern sie verändert sich?
Richtig. Der Mensch ist und bleibt ein sexuelles Wesen bis zum Tod. Im Alter weicht die sexuelle Lust meist der Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit. Doch die wenigsten alten Menschen verlieren ihr Verlangen ganz. Es ist also nicht das höhere Alter an sich, das dem sexuellen Genuss im Weg steht. Es sind eher die Umstände, vor allem körperliche Gebrechen. Trotzdem kann auch das Alter eine bereichernde Zeit sein, wenn Menschen die verschiedenen Facetten der Erotik entdecken und sie geniessen können.
Was macht guten Sex im Alter aus?
Guter Sex ist immer mit Genuss verbunden, ob man jung ist oder alt, spielt keine Rolle. Guter Sex ist, wenn die emotionale Erregung im Einklang mit der genitalen Erregung steht. Sexualität ist aber viel mehr als die Orgasmusfähigkeit. Sie ist eine breite Palette an körperlichen und emotionalen Empfindungen, die durch den Austausch von Zärtlichkeiten und Berührungen mit einem Gegenüber oder mit sich selbst hervorgerufen werden. Das Empfinden im Körper und auf der Haut – das alles bleibt bis ins hohe Alter bestehen.
Was sind denn die häufigsten Sex-Probleme von älteren Menschen?
Mit 70 Jahren haben rund ein Drittel aller Männer Erektionsprobleme. Frauen hingegen klagen im Alter häufig über abnehmende Lust, Erregbarkeit und Scheidentrockenheit.
Hat die Lustlosigkeit auch damit zu tun, dass alternde Menschen sich möglicherweise nicht mehr sexuell attraktiv finden, was ihr Begehren untergraben kann?
Ja, denn das Alter widerspiegelt die Fähigkeiten, die man sich im Laufe des Lebens angeeignet hat. Wer gelernt hat, sich im eigenen Körper wohl zu fühlen, wird auch im Alter damit umgehen können. Allerdings setzt das voraus, dass man die körperlichen Veränderungen annimmt und sich mit ihnen schön findet. Es ist ein langer Prozess, bis man in den Spiegel blicken kann und zu sich selbst sagt: «Ich bin 70 und finde mich attraktiv.»
Wie gelingt der Sprung raus aus dem eigenen Schatten?
Ich gebe Ihnen ein einfaches Beispiel: Mit sich selbst in Kontakt kommen, mit der Hand über den Körper fahren, das Geschlecht betrachten, es berühren und streicheln, und sich bewusst machen «Das ist meins, das bin ich!» Gleichzeitig auf die Empfindungen achten, die durch die Berührung ausgelöst werden. So kann die Wahrnehmung neu an die sexuelle Erregung gekoppelt werden.
Manche meiner Klienten reagieren am Anfang irritiert und empfinden, je nachdem wo sie sich berühren, nichts. Diese Reaktion ist normal. Die Nervenzellen der Haut können durch Wiederholungen lernen, Berührungen als angenehm zu empfinden. Das geht nicht von heute auf morgen. Bewegung und Tiefenatmung fördern die sexuelle Erregung zusätzlich. Der Mann sollte den Penis nicht nur mit der Hand reiben, sondern ihn mit dem Becken in die Hand stossen. Die Frau kann durch die Bewegung des Beckens ihrer Hand entgegengehen. Durch die Bewegung im Genitalbereich wird die Durchblutung gefördert, was stimulierend wirkt.
Über Esther Elisabeth Schütz
Esther Elisabeth Schütz (72) ist Sexualtherapeutin in eigener Praxis und Autorin mehrerer Fachbücher. Die Sexologin aus Uster ist Gründerin des Instituts für Sexualpädagogik und Sexualtherapie ISP, das sie bis 2020 auch leitete. Das Zürcher Institut bietet Aus- oder Weiterbildungen in Sexologie an. In Zusammenarbeit mit der Hochschule Merseburg (Sachsen-Anhalt ) ist es am ISP möglich, einen Master of Arts in Sexologie zu erlangen. Schütz ist dort Studienleiterin und Dozentin.
https://die-sexualtherapeutin.ch/
https://isp-zuerich.ch/leitung-isp/
Wie schafft man es trotz körperlicher Gebrechen und Lustlosigkeit guten Sex zu haben? Hilft ein längeres Vorspiel?
Man kann auch im Alter einen Quickie haben … Klar, die Sensibilität der Klitoris nimmt im Alter etwas ab. Deshalb dauert die Stimulation länger bis es zur sexuellen Erregung kommt. Der Mann braucht ebenfalls länger bis er eine gute Erektion hat. Kleine Bewegungen des Beckens können helfen, die sexuelle Erregung im Körper auszubreiten, im Gegensatz zu einer hohen Anspannung. Und ja, ein erotisches Vorspiel kann Lust machen auf mehr und die sexuelle Erregung steigern.
Welche Rolle spielt Selbstbefriedigung für guten Sex?
Wer mit sich selbst erotischen, guten Sex hat, bringt diese Fähigkeiten in den Austausch mit einem Gegenüber ein. Zudem trägt Selbstbefriedigung zu einem eigenständigen Gefühl bei. Frauen und Männer haben ihre eigene Sexualität auch dann noch zur Verfügung, wenn die Beziehung auseinandergebrochen oder der Partner verstorben ist.
Kann Solo-Sex den Partner ersetzen?
Nein, Selbstbefriedigung ist nie ein Ersatz für einen Partner. Solo-Sex und richtiger Sex kann man eigentlich nicht miteinander vergleichen. Das eine ist nicht besser als das andere. So wie man etwas Feines für sich selbst kocht oder alleine spazieren geht, so kann man auch seine Sexualität alleine ausleben und geniessen.
Gibt es eine Sexstellung, die für ältere Menschen besonders gut geeignet ist?
Eigentlich nicht, das hängt von den Vorlieben der Paare ab. Die Missionarsstellung funktioniert meistens, da liegt die Frau unten und der Mann oben. Allerdings kann sie für den Mann anstrengend sein. Oder die «Hundestellung»: Bei dieser Variante ist die Frau auf allen Vieren, der Mann kniet hinter ihr und sie nimmt ihn von hinten auf. Diese Variante wiederum hat den Vorteil, dass sie mehr Bewegung zulässt. Bei der «Löffelstellung» liegen die Partner auf der Seite und der Mann dringt von hinten ein. Für beide ist es eine bequeme Stellung, weil die Arme nicht zum Abstützen gebraucht werden. Wichtig scheint mir, dass man darüber spricht, ob man daran Gefallen findet oder nicht, und dass man ab und zu etwas Neues ausprobiert.
Sind getrennte Schlafzimmer einem erfüllten Sexleben eher abträglich?
Nicht unbedingt. Das Paar kann sich gegenseitig besuchen, das kann durchaus seinen erotischen Reiz haben. Ein gemeinsames Schlafzimmer ist keine Garantie für guten Sex.
Können Sexspielzeug oder Pornos das Sexleben beleben?
Ein Porno kann den Mann schnell in Stimmung bringen. Auf solche visuelle Reize reagiert die Frau hingegen weniger. Sie wird vielmehr von Berührungen und Emotionen erregt. Als Experiment kann Sexspielzeug durchaus lustfördernd wirken. Es kann aber die empfindsamen Hände nie ersetzen. Bei medizinisch diagnostizierten Erektionsstörungen können andere Hilfsmittel wie Medikamente sinnvoll sein.
Braucht es denn bei Erektionsstörungen immer Medikamente?
Nein, denn hinter Erektionsstörungen steht oft die Frage, auf welche Art und Weise ein Mann seine sexuelle Erregung steigert. Eine hohe Spannung im Beckenbereich und Gesäss sind für die Erektionsfähigkeit nicht förderlich. Das macht sich häufig ab dem fünfzigsten Lebensjahr bemerkbar. Zur sexuellen Stimulation brauchen manche Männer ganz bestimmte Situationen, Rituale oder Filme. Stress im Beruf oder im Alltag beeinträchtigt die Erektion genauso wie zu viel Alkohol oder Drogen. Medikamente fördern die Durchblutung des Penis und hemmen den Abfluss. Die Erektion bleibt so besser aufrecht. Allerdings lösen die Medikamente die Erektion nicht aus, dazu braucht es die sexuellen Reize.
Sexualität im Alter ist noch immer tabu- und problembehaftet. Wie erklären Sie sich das?
In unserer Gesellschaft verkörpert der junge Körper den idealen Menschen: vital, leistungsfähig, sexuell aktiv. Alter bedeutet hingegen Zerfall, Schmerz und Tod. Deshalb wird zu Unrecht betagten Menschen die Fähigkeit zur Sexualität abgesprochen. Doch viele ältere Menschen stehen sich auch selbst im Weg, wenn sie mit Scham und Verlegenheit auf sexuelle Themen reagieren oder glauben, dass sich Sex für sie nicht mehr geziemt.
Besonders für Jüngere scheint Sexualität bei Senioren sogar etwas Abstossendes zu haben.
Dass die eigenen Eltern oder Grosseltern miteinander schlafen, ist für Kinder und Jugendliche meist unvorstellbar. Zum einen hat das mit der Abgrenzung und Abnabelung vom Elternhaus zu tun. Der Teenager will seine eigene Sexualität ohne Eltern entdecken und erleben.
Deshalb koppelt er die Sexualität von der Erwachsenenwelt, von der Welt seiner Eltern, ab. Zum anderen mangelt es in der Öffentlichkeit an Bildern von sexuell aktiven Senioren. Vor allem bei jüngeren Menschen könnte so der Eindruck entstehen, dass Seniorensex etwas Widernatürliches sei. Deshalb sollten in Kino- oder TV-Filmen mehr ältere Menschen zu sehen sein, die Zärtlichkeiten austauschen oder sich sexuell stimulieren.
Sex haben ist auch Ausdruck von Selbstbestimmung. In Pflegeeinrichtungen jedoch ist die Privatsphäre stark eingeschränkt, vor allem in Mehrbettenzimmern. Was müsste sich ändern, damit Sexualität auch in Pflegeheimen zur Normalität wird?
Es ist eine Zumutung, dass man sich am Lebensende ein Zimmer mit einer fremden Person teilen muss. Zum Glück gibt es immer mehr Pflegeeinrichtungen, die Einzelzimmer anbieten. Es braucht nicht nur die räumlichen Voraussetzungen für intime Beziehungen, sondern auch Pflegekräfte, die sexuelle Kontakte zulassen und Erotik als vitalisierender Schatz und Lebenselixier erkennen und fördern. Prostituierte oder Masseusen dürfen in Pflegeeinrichtungen nicht tabuisiert werden.