Vor gut zwei Jahren haben wir entschieden, uns vermehrt den Konsumentenanliegen der zusatzversicherten älteren Menschen anzunehmen. Wir haben dazu auf helveticcare.ch zahlreiche Artikel verfasst.
Dass diese Population von mehr als einer Million Personen eine starke Konsumentenstimme verdient, wird aus den konsolidierten Zahlen der Geschäftsberichte der elf grössten Krankenversicherer im Jahr 2023 mehr als deutlich: Die verheerenden Defizite in den Grundversicherungen können nur dank sehr hohen Gewinnen in den Zusatzversicherungen halbwegs aufgefangen werden. Wir haben jeden einzelnen Geschäftsbericht analysiert und nehmen auf dieser Basis eine Konsolidierung über die gesamte Branche vor (vgl. Tabelle).
Die Industrie wächst aufgrund von Prämienerhöhungen in den Grundversicherungen stark an: 2023 beträgt das Prämienvolumen konsolidiert CHF 44.4 Mrd. – bei der Helsana, der Nummer 1, beläuft es sich auf CHF 7.8 Mrd.
In den Grundversicherungen resultiert über die gesamte Branche hinweg ein versicherungstechnisches Minus von CHF 1.463 Mrd. In den Zusatzversicherungen erzielt die Industrie einen konsolidierten Gewinn von CHF 736 Mio. Davon dürften ca. CHF 150 Mio. Steuern an die öffentliche Hand fliessen.
Diese bereits oben publizierte Tabelle bietet einen Überblick über die einzelnen Abschlüsse.
Doch was bedeutet das genau? Kommt die Einheitskasse? Was, wenn EFAS?
In den Grundversicherungen sind die elf grössten Schweizer Krankenkassen konsolidiert stark gewachsen. Allerdings sind auch die versicherungstechnischen Defizite mit CHF 1.463 Mrd. auf eine katastrophale Höhe angestiegen (gemessen an der Combined Ratio, dem versicherungstechnischen Ergebnis ohne Kapitalerträge ).
Helvetic Care stützt sich bei der Konsolidierung der Gesamtergebnisse auf die in den Geschäftsberichten ausgewiesene Combined Ratio (vgl. Tabelle) ab. Diese ist in der Regel das bessere Mass als die in den Grundversicherungen ausgewiesenen Ergebnisse. Dies, obwohl mit der Auflösung von versicherungstechnischen Rückstellungen auch die Combined Ratio an vielen Stellen «künstlich» verbessert wurde.
Die grosse Ausnahme diesbezüglich stellt die Concordia dar, welche infolge zusätzlicher Bildung von technischen Rückstellungen einerseits das technische Ergebnis und anderseits infolge zusätzlicher Bildung von Wertschwankungsreserven auch das Gesamtergebnis stark verschlechtert hat (an dieser Stelle eine «offizielle» Entschuldigung an die Concordia für die ursprüngliche Fehlinterpretation!). Concordia hat damit eine ausgezeichnete Ausgangslage für die Zukunft, selbst wenn das Wachstum von 70‘000 Versicherten auf 1. 2024 teuer zu stehen käme.
Obwohl 2023 auch die beiden grössten Versicherer CSS und Helsana katastrophale Ergebnisse in den Grundversicherungen eingefahren haben, kann davon ausgegangen werden, dass diese stabil aufgestellt und mit starken Eigenmitteln ausgestattet sind.
Gut positioniert für die Zukunft dürften all jene Krankenkassen sein, welche die Prämien auf Januar 24 über dem Durchschnitt erhöht und dadurch gleichzeitig per 1. 24 Versicherte verloren haben. Exemplarisch dafür dürfte die SWICA stehen.
Erstaunliches aus 2023 geht seitens der KPT aus dem Geschäftsbericht hervor: Sie konnte das enorme Wachstum aus dem Jahr 2023 (> 200’000 Versicherte) trotz überdurchschnittlicher Prämienerhöhungen per 1.24 fast halten (minus 20‘000 Versicherte) und zudem das Jahr 2023 auch finanziell gut bewältigen.
Schwierig dürfte das Jahr 2024 insbesondere für all jene Krankenkassen werden, welche 2023 miserabel abgeschlossen, auf 1. 2024 die Prämien unterdurchschnittlich erhöht haben und zusätzlich gewachsen sind. Eine solche Ausgangslage lässt sich exemplarisch bei der Sympany feststellen.
Ganz im Gegensatz zu den Grundversicherungen konnten die Krankenkassen in den Zusatzversicherungen mit einem ausgewiesenen Gewinn von konsolidiert CHF 736 Mio. brillieren. Dies vor allem bei den ambulanten und stationären Produkten und wohl weniger beim Krankentaggeld.
In den Zusatzversicherungen wurden Gewinne von CHF 222 Mio. (CSS), CHF 186 Mio. (Helsana), CHF 95 Mio. (Sanitas) etc. ausgewiesen. Den Steuervogt wird's freuen: Können damit – wenigstens zu einem Teil – die landauf und landab entstandenen Spitaldefizite gedeckt werden?
Und der geneigte Leser mag sich fragen: Was passiert mit den Gewinnen nach Steuern? Bleiben diese in den jeweiligen Aktiengesellschaften, werden sie an Holdings oder an die jeweiligen Träger der Krankenkassen, nämlich Vereine, Genossenschaften und Stiftungen, abgeführt?
Dass die Zusatzversicherten mit ihren Prämien für die letztlich konsolidiert über die jeweiligen Gruppen hinweg halbwegs positiven Ergebnisse verantwortlich sind, ist offensichtlich. Besonders krass ist das Beispiel der Sanitas: Diese weist 2023 in den Zusatzversicherungen einen Gewinn von CHF 95 Mio. aus und belastet die Verwaltungskostensteigerung von insgesamt CHF 20 Mio. (7%) kurzum vollumfänglich den Zusatzversicherten. Dass diesbezüglich niemand eingreift, erstaunt schon sehr.
Weshalb geniessen die Kunden seitens der Krankenversicherer nicht die notwendige Aufmerksamkeit? Weshalb werden faktisch aufgrund von vertragslosen Zuständen mit den Spitälern immer mehr Leistungen von halbprivat und privat versicherten Menschen eingegrenzt?
Die Prämienanpassungen 2025 in den Grundversicherungen dürften ein Abbild folgender Faktoren sein:
Ergebnis 23 - Prämienerhöhung / Wachstum per 1.24 - Risikoausgleichszahlungen - Teuerung 24/25 - mutmassliches Ergebnis 24 - Wachstum 25
Die Formel liest sich einfach, ist aber mit sehr viel Unsicherheit gekoppelt.
Man kann davon ausgehen, dass die Prämienanpassungen auch per Januar 2025 aufgrund der heterogenen Ausgangslagen sehr unterschiedlich ausfallen werden. Insgesamt dürfte die Korrektur auf den 1.24 - obwohl mit 8.7 % massiv – nicht genügen. Zudem dürfte die Kostensteigerung 2024 aufgrund von systemischer Ineffizienz weiterhin sehr hoch bleiben. Es wird wohl leider mit weiterhin hohen Anpassungen zu rechnen sein.
In den Zusatzversicherungen ist die Situation sehr schwierig einzuschätzen:
Einerseits sollten die Interventionen der Finma (transparente Verträge mit Spitälern und Ärzten, keine doppelten Verrechnungen, Gewinnbeschränkungen auf Produktebene) nun Früchte tragen und zu Prämiensenkungen führen.
Auch sollte die «Branchenvereinbarung» Entlastungen bei den Vertriebsentschädigungen (Verwaltungskosten) in den Zusatzversicherungen zur Folge haben.
Allerdings ist aufgrund der sehr angespannten Situation in den Grundversicherungen - im Gesundheitswesen generell (Spitaldefizite!) - vollkommen unklar, inwieweit eine Korrektur seitens der Finma insgesamt sinnvoll ist. Unklar ist auch, mit welcher Konsequenz die Finma «Korrekturen der Prämien gegen unten» anordnen wird und kann.
Während Helsana und CSS in den Grundversicherungen kräftig wachsen und sich im klassischen Markt darum streiten, wer insgesamt die Nummer 1 ist, passiert auf den weiteren Platzierungen einiges: Groupe Mutuel, Swica und Visana scheinen diejenigen zu sein, die sich strategisch effektiv bewegen und dem Korsett der klassischen Krankenkasse zu entfliehen versuchen:
Der Rest der Krankenkassen wirkt wie paralysiert zwischen den unterschiedlichen Anforderungen der Grund- und Zusatzversicherungen und deren Aufsichtsbehörden BAG und Finma.
In diesem Umfeld werden die Stimmen nach einer Einheitskasse wieder laut. Weshalb das trotz der miserablen Ergebnisse der Krankenkassenindustrie 2023 keine gute Idee ist, zeigen wir anhand von drei Argumenten:
1) Eine Einheitskasse löst zum Preis der Abschaffung der Wahlfreiheit der Versicherten höchstens das Problem, dass die Kosten für die Wechsel in den Grundversicherungen wegfallen. Das ist aber wahrlich nicht das Problem in Bezug auf die steigenden Kosten für die medizinische Versorgung der Menschen. Eine Einheitskasse scheint vielmehr ein politisches Ablenkungsmanöver im Hinblick auf die aktive Bekämpfung der Kostensteigerungen im Gesundheitswesen zu sein.
2) Ob sich ein Staat ausgerechnet die im Jahr 2023 ausgesprochen defizitäre Krankenversicherung «anlachen» sollte und damit die künftigen Probleme zu Staatsproblemen macht, ist staatspolitisch mehr als fragwürdig.
3) Die Einführung einer Einheitskasse dürfte zu zehnjährigen Umsetzungsproblemen führen, da die privaten Krankenversicherer in Bezug auf die Grundversicherungen «enteignet» werden müssten.
Und was würde die Einführung der einheitlichen Finanzierung von ambulant und stationär (EFAS), sollte das Referendum abgelehnt werden, für die Krankenversicherer bedeuten?
Zum einen dürfte die Industrie der Krankenversicherer in mehreren Schritten (akute Medizin ca. CHF 8 Mrd. / Pflege CHF 3.5 bis 4 Mrd.) massiv weiterwachsen. Zum anderen wären die Krankenversicherer gezwungen, für die älteren Menschen – sei es in Bezug auf die Akutmedizin oder die Pflege – integral Verantwortung zu übernehmen.
Ein aktuell sehr grosses Problem für die älteren Menschen müsste wegfallen oder zumindest gedämpft werden. Denn keine weitere Verbesserung des Gesundheitszustandes bei hochbetagten Menschen bedeutet aktuell keine weitere Kostengutsprache seitens der Krankenkasse im Akutbereich. Das heisst für viele betroffene Menschen nichts anderes als «vom Spital auf direktem Weg ins Pflegeheim». Genau diese Schnittstelle müsste im Interesse der älteren Menschen seitens der Krankenkassen künftig neu und positiv gelöst werden.
Ob dies der Industrie in Zukunft gelingen wird, muss allerdings hinterfragt werden. Der weiterhin existierende Vertragszwang seitens der Krankenversicherer und vor allem die weitreichenden kantonalen Planungskompetenzen auch im ambulanten und pflegerischen Bereich schränken den Handlungsspielraum der Krankenversicherer beträchtlich ein.
Wiederholt sich damit die Krise im Spitalwesen und der damit verbundenen aktuellen Schieflage im Gesundheitswesen in naher Zukunft bei der Alterspflege erneut?
Helvetic Care wird im Interesse der stark steigenden älteren Population an diesen Themen dranbleiben.